Antje Rehling

Eine Arbeit zu finden, ist für viele Menschen eine große Herausforderung, obwohl die Arbeitslosenquote in Deutschland rückläufig ist. Besonders schwer wird es jedoch, wenn man nicht nur mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch noch mit Vorurteilen und europäischer Bürokratie zu kämpfen hat.

Dominic Palummo weiß, wie kompliziert die Lage sein kann. Der Geschäftsleiter von "Franco & Chris" in Singen beschäftigt seit einem Jahr den Syrer Ahmad Obaid. Dieser hat in Syrien sein Abitur gemacht und anschließend eine Ausbildung als Friseur begonnen. Wegen des Bürgerkriegs musste er sie jedoch nach einem Jahr abbrechen. Ende 2014 entschied er sich zu fliehen: durch die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Zu Fuß, mit dem Auto und mit dem Bus war Obaid zwei Monate mit seinem Bruder unterwegs. Seine Eltern und einige Verwandte sind immer noch in Syrien. Sie leben in Zelten, im Osten, dem vom Islamischen Staat kontrollierten Teil Syriens. "Er betrachtet das Leben in Deutschland als ein Geschenk Gottes", erzählt Dominic Palummo. "Aber kann es nicht wirklich genießen, weil er ständig Angst um seine Familie hat." Die Arbeit als Friseur diene ihm als Ablenkung von Angst und Trauer um seine Familie in Syrien.

Ahmad Obaid wollte schon immer Friseur werden. Als er nach Deutschland kommt, absolviert er einen zehnmonatigen Deutschkurs. Anschließend bewirbt er sich mit Hilfe einer Berufsberaterin für Praktika bei verschiedenen Friseuren. Trotz des Fachkräftemangels in der Branche bekommt er zunächst nur Absagen. Die Betriebe sind skeptisch, ob er das Praktikum wirklich will und sich an die Regeln hält. Als der 22-Jährige sich vor einem Jahr bei "Franco&Chris" bewirbt, handelt Palummo zunächst aus Eigeninteresse. "Anfangs gab es viele Schwierigkeiten. Neben der Sprache war es etwas völlig Neues für Ahmad, mit Frauen zu arbeiten und diese genauso zu behandeln wie Männer. Das ist in Syrien ganz anders", erinnert er sich. Neben der Arbeit hat Dominic Palummos Mutter, Christiane Palummo, dem Syrer Sätze beigebracht, die er in der Branche benötigt, aber während des Deutschkurses nicht lernte.

Als Praktikant muss Obaid die gleichen Aufgaben erledigen wie andere Lehrlinge. Haare schneiden dürfen Auszubildende grundsätzlich nicht. Das ändert sich, als er fragt, ob er einen Kunden übernehmen soll, inklusive schneiden. Es ist ein hektischer Tag und ein Mitarbeiter ist ausgefallen. Da erlaubt es sein Chef. "Das Ergebnis war überraschend. Ahmad hat mit so einer Präzision gearbeitet. Ich habe noch nie jemanden so schneiden gesehen." Palummo geht mittlerweile sogar so weit zu sagen, Obaid sei sein bester Herrenfriseur. Seine Kollegen freuen sich für ihn. Eifersucht spiele bei anderen Auszubildenden keine Rolle weil klar sei, warum er schon schneiden darf. Im August beginnt der 22-jährige dann offiziell seine Lehre, obwohl er fachlich eigentlich schon viel weiter ist.

Auch außerhalb der Arbeit kümmert sich Dominic Palummo um Ahmad Obaid: Als er eine Wohnung sucht, fragt Palummo Freunde und Bekannte zunächst nach einer Wohnung für sich selbst. "So viele Leute haben mir freie Wohnungen angeboten, aber als klar war, dass die Wohnung für einen syrischen Flüchtling ist, waren die Angebote ganz schnell wieder weg. Ich war sehr enttäuscht, teilweise auch von Freunden, von denen ich eigentlich mehr Hilfsbereitschaft erwartet hätte." Dass Obaid schließlich doch noch eine Wohnung in der Nordstadt gefunden hat, sei großes Glück.

Palummo kann nicht nachvollziehen, dass Flüchtlingen oft nachgesagt wird, sie seien faul oder nicht motiviert einer Arbeit nachzugehen. "Ahmad war während der ganzen Zeit, die er hier ist, nicht einmal krank oder kam zu spät. Deshalb waren manche Reaktionen für mich besonders erschreckend. Einmal hat sich eine Kundin geweigert, mit ihm zu sprechen und verlangte jemand anderen. Das macht erschüttert ihn. Er fühlt sich dann, als wäre er hier nicht erwünscht." Die meisten Kunden reagierten aber positiv auf den 22-Jährigen, schildert Palummo. Viele gäben teilweise 20 oder 30 Euro Trinkgeld, weil sie so begeistert von seiner Arbeit und berührt von seiner Geschichte seien. All das gebe Obaid Kraft, sich weiter zu entwickeln und aus sich heraus zu kommen. Palummo möchte auch andere Betriebe ermuntern, Menschen wie Ahmad eine Chance zu geben. Berührungsängste könnten nur durch eigene Erfahrungen abgelegt werden.


Zur Person

Ahmad Obaid floh Ende 2014 aus dem Bürgerkriegsland Syrien. In Syrien hat er eine Ausbildung zum Friseur begonnen. Bei "Franco & Chris" erhielt Obaid 2016 ein Praktikum und kann im August 2017 seine Lehre beginnen. Geschäftsführer Palummo möchte mit der Geschichte des Syrers andere Betriebe dazu ermuntern, selbst Flüchtlingen eine Chance zu geben.