Ende Mai vorigen Jahres trafen sich etliche junge Leute zu einer Party im Singener Jugendtreff an der Hauptstraße. Gegen halb drei Uhr morgens legte einer der Gäste seine 23-jährige, volltrunkene Freundin in den Räumen der "Teestube" auf einem Sofa ab. Dann begab er sich wieder zu seinen Freunden. Einige Zeit später entdeckte man, dass der Angeklagte mit der auf dem Sofa liegenden Frau Sex hatte. Es gab einen Tumult. Der angetrunkene 20-Jährige wurde hinausgeworfen, die schwer betrunkene junge Frau wurde nach Hause gebracht. Später erklärte sie, sie habe von dem Vorfall überhaupt nichts mitbekommen, weil sie aufgrund ihrer Alkoholisierung "ohne Bewusstsein" gewesen sei. Nur durch Berichte ihrer Freunde habe sie erfahren, was passiert sei. Zur Polizei ging sie erst am nächsten Tag auf Anraten der Sozialarbeiterin des Jugendtreffs.
Aus Angst vor einer Abschiebung leugnete der Angeklagte zunächst, dass er Sex mit der Frau hatte. Nachdem dies mittels DNA-Spur aber so gut wie bewiesen war, sprach er von einvernehmlichem Sex. Die Frau habe ihm gewinkt, man habe sich geküsst, dann habe sie ihm die Hose heruntergezogen. Nun stand Aussage gegen Aussage. Bei der Beantwortung der entscheidenden Frage, ob die 23-Jährige, wie angeklagt, aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung gar nicht mehr zum Widerstand fähig war, konnte auch ein Sachverständiger nicht wirklich weiterhelfen.
Nach seinen Berechnungen musste die 23-Jährige zum Tatzeitpunkt zwischen 1,9 und 3,1 Promille Alkohol im Blut gehabt haben. Aber ob und wann eine Person mit dieser Alkoholisierung tatsächlich "außer Betrieb" ist, hänge wiederum von etlichen anderen Faktoren ab.
Das Gericht folgte bei seiner Entscheidung Zeugenaussagen, nach denen die 23-Jährige "schlaff, bewegungs- und bewusstlos" dagelegen habe, als der Angeklagte auf ihr agierte. Einer der Begleiter des Angeklagten behauptete aber, er habe beobachtet, wie das Paar Zärtlichkeiten und Küsse ausgetauscht habe. Mangels Sprachkenntnissen spielte er die Szene dem Gericht vor. Offensichtlich hielt man ihn aber nicht für glaubwürdig. Auch die zweite wichtige Frage, ob der selbst mit rund 1,6 Promille berauschte 20-Jährige diese "tiefgreifende Bewusstseinsstörung" der Frau erkennen konnte, war für das Gericht nach der Beweisaufnahme ebenfalls eindeutig zu beantworten: "Es war offenkundig und nicht zu übersehen".
Ganz anders der Verteidigter des Angeklagten. Er zitierte eine frühere Aussage der Geschädigten. Damals hatte sie angegeben, gewisse Wahrnehmungen gemacht zu haben, sie habe aber geglaubt mit ihrem Freund Sex zu haben. Später habe sie sich bei ihm sogar für diese Verwechslung entschuldigt. Erst am nächsten Tag sei sie, wieder betrunken, zur Polizei gegangen. Danach habe sie sich Verletzungsspuren selbst beigebracht. Der Anwalt plädierte auf einen Freispruch nach dem Zweifelsgrundsatz.
Das Gericht hielt die Schuld des 20-Jährigen zweifelsfrei für erwiesen. Zu seinen Gunsten entschied man sich für eine Verurteilung nach dem milderen Jugendstrafrecht. Der 20-Jährige war drei Jahre auf der Flucht durch halb Europa. Dabei sei er, so sein Verteidiger, regellos und "völlig verwahrlost lediglich dem eigenen Lebensinstinkt gefolgt". Das Gericht erkannte an, dass er deshalb keine reife Persönlichkeit entwickeln konnte und nicht einem Erwachsenen gleichzusetzen sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Keine Abschiebung
Der 20-jährige Angeklagte konnte sich vor Gericht nur mit Hilfe eines Dolmetschers verständigen. Mit 17 floh er aus Somalia und schlug sich alleine drei Jahre lang durch halb Europa bis in den Hegau durch. Seine Befürchtung, in sein gefährliches Heimatland abgeschoben zu werden, ist unbegründet. Laut Staatsanwaltschaft werde momentan kein Flüchtling nach Somalia abgeschoben. Es ist davon auszugehen, dass der Verteidiger in Berufung gehen wird. Der Angeklagte befindet sich in Untersuchungshaft.