Erfreulich schnell ist die Pfarrstelle der evangelischen Kirchengemeinde Reichenau wieder besetzt worden. Aus einfachem Grund: Sabine Wendlandt war die Wunschkandidatin des Kirchengemeinderats. Und die (noch) 53-jährige Pfarrerin erklärt: „Ich hatte Lust auf diese Stelle.“ Die Seelsorgearbeit im Zentrum für Psychiatrie sei ihr aber natürlich weiterhin wichtig, betont sie: „Die Arbeit macht mir sehr Spaß. Die Menschen dort liegen mir am Herzen.“ Dass sie dies nun verbinden könne mit der Tätigkeit in der gesamten Kirchengemeinde, sei für sie ein Gewinn, erklärt sie: „Das Gemeindeleben ist das pralle Leben – von den kleinsten Kindern bis zu Erwachsenen im Seniorenalter. Das habe ich etwas vermisst.“ Im ZfP erlebe sie zwar das ganze Spektrum der Seelsorge, wodurch sie nur lernen und gewinnen könne. Doch die jetzt neue Aufgabe sei einfach vielseitiger – mit verschiedenen Formen von Gottesdiensten oder dem Konfirmandenunterricht.
Wobei Sabine Wendlandt die Verbindung dieser beiden Tätigkeiten ideal findet, denn schließlich seien die Bewohner des ZfP ja auch Teil der rund 860 Reichenauer Gemeindemitglieder. „Ein Ziel ist mit Sicherheit der inklusive Gedanke, dass die Arbeit im ZfP und in der Gemeinde Hand in Hand oder Fuß in Fuß geht und zusammenwächst.“ Schon jetzt gebe es vereinzelt Leute aus der Waldsiedlung, die Gottesdienste in der ZfP-Kapelle besuchen. „Das finde ich toll.“ Sabine Wendlandt fände es wünschenswert, wenn dies noch offener und unbefangener wäre. Denn es könne jedes Gemeindemitglied sonntags um 9 Uhr den Gottesdienst im ZfP besuchen oder auch den um 10 Uhr in der Heilig-Geist-Kirche. Fördern möchte sie dieses Zusammenwachsen zum Beispiel mit gelegentlichen gemeinsamen Veranstaltungen und Gottesdiensten – so etwa an Christi Himmelfahrt, wo alle Gemeindemitglieder ins ZfP eingeladen werden.
Wobei die neue Pfarrerin betont, sie wolle sich zunächst orientieren, bisherige Angebote bleiben bestehen, schließlich sei sie einfach ein Gemeindemitglied unter allen. „Ich nehme erst mal positiv wahr, was es hier alles gibt.“ Aber sie hat natürlich ihre Schwerpunkte. „Niederschwellige und erlebnisorientierte Angebote sind mir sehr wichtig“, erklärt Sabine Wendlandt, um ein gutes Gefühl von Kirche zu vermitteln. So zum Beispiel im Konfirmanden unterricht, wo sie der bisherigen Praxis, positive Erlebnisse zu ermöglichen, viel Gewicht beimesse, denn: „Man lernt nicht nur mit dem Verstand, man lernt ganzheitlich mit allen Sinnen.“
Als neues niederschwelliges Angebot sieht sie Krabbel-Gottesdienste mit den Krippenkindern, wovon sie in der Vakanzzeit schon den ersten abhielt. „Ich finde das unglaublich wichtig, Kinder von Anfang an mit dem Gottesdienst vertraut zu machen – und das recht zwanglos.“ Etwa zweimal im Jahr plant sie solche Gottesdienste für die Kleinsten. Neu beleben mit anderem Konzept will sie zudem zusammen mit dem Kirchengemeinderat die Taizé-Anlässe: Nicht mehr als Gottesdienste sonntags, was schlecht angenommen wurde, sondern in kürzerer Form als Taizé-Gebete einmal monatlich an einem Donnerstagabend, „um die Hemmschwelle herabzusetzen“.
Offen herangehen will Sabine Wendlandt auch ans Thema Ökumene. Wobei sie anmerkt, sie werde das nicht gezielt forcieren. Es sei auch wichtig, dass es keine Grenzüberschreitungen gebe. So habe sie nicht vor, sich wie ihr Vorgänger an den Prozessionen an den katholischen Inselfeiertagen zu beteiligen. Sie habe Respekt und Sympathie für die große Frömmigkeit auf der Insel. „Die katholische Tradition ist hier natürlich sehr gewachsen und sehr groß“, weiß sie. „Ich bin neugierig und freue mich auf ökumenische Begegnungen.“ So werde es zum Beispiel weiterhin das Kirchenschiff auf dem Untersee geben, an dem sich die katholische Seelsorgeeinheit Wollmatingen-Allensbach beteiligt.
Dass Sabine Wendlandt all ihre Aufgaben – ebenso wie ihren Alltag – ohne Arme bewältigen muss, sei kein Problem. „Für mich ist das einfach, weil ich so geboren wurde, für mich ist es das Normale.“ Vieles von dem, was andere mit den Händen machen, mache sie eben mit den Füßen oder dem Mund. „Ich bin sehr beweglich“, sagt sie lächelnd. Und ansonsten erfordere ihre Behinderung einfach mehr Selbstdisziplin und eine größere Organisation, weil sie halt gelegentlich Assistenz benötige. Wozu sie als Beispiel schmunzelnd anmerkt: „Stühle und Tische schleppen kann ich nicht.“