Der „Löwe von Afrika“, so ein Beiname von Paul von Lettow-Vorbeck, hat in Radolfzell bald ausgebrüllt. Die Straße, die seinen Namen trägt, soll einen anderen bekommen. Der Gemeinderat hat bei großer Mehrheit, einer Gegenstimme und einer Enthaltung die Umbenennung beschlossen. Dem „Kriegsverbrecher und Demokratiefeind Lettow-Vorbeck“ (CDU-Stadtrat Christof Stadler) soll nicht mehr länger das Andenken durch Nennung in einem Straßennamen gewidmet sein.
Gemeinderat in der Pflicht
Im Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung die Kolonialverbrechen an den Herero und Nama als Völkermord anerkannt. An diesen Verbrechen war Paul von Lettow-Vorbeck als Offizier im Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, in den Jahren 1904 bis 1908 beteiligt. Stadtrat Jürgen Keck (FDP) sah den Gemeinderat in der Pflicht: „Wir zeichnen dafür verantwortlich, dass wir jetzt agieren.“ Straßennamen seien Persönlichkeiten vorbehalten, die sich verdient gemacht hätten. Lettow-Vorbeck gehöre definitiv nicht dazu. „Er war am Völkermord beteiligt, die Straße muss umbenannt werden.“
Erschrocken sei Keck, weil sich 56 Anwohner trotz dieses Wissens gegen eine Umbenennung und sich nur 28 Anwohner für einen neuen Namen ausgesprochen hätten. Dennoch könne er es gut mit seinem Gewissen vereinbaren, dass der Name jetzt geändert werde. Wie Dietmar Baumgartner von den Freien Wählern sprach sich Keck dafür aus, den Anwohnern die Auslagen für die Umbenennung zu erstatten, sollten sie die Pauschale von 50 Euro übersteigen.

Einzig Thilo Sindlinger, Stadtrat der Freien Grünen Liste, stimmte und sprach sich gegen eine Umbenennung der Lettow-Vorbeck-Straße aus. Sichtlich missmutig beschwerte er sich bei der Verwaltungsbank, dass er das Ergänzungsgutachten der Historikerin Heike Kempe erst kurz vor der Sitzung als Lektüre bekommen habe. Sindlinger, selbst Diplombiologe, fällte ein vernichtendes Urteil über die Güte der wissenschaftlichen Aussagen im Gutachten: „Viel Blabla und wenig Konkretes zur Person Lettow-Vorbeck.“

Damit belegte Sindlinger eine Minderheiten- oder Außenseitermeinung, die dem Historiker und Stadtratskollegen Christof Stadler (CDU) quer gegen den Strich ging: „Wenn man das Gutachten als Blabla aburteilt, dann empfinde ich das als ziemlich unprofessionell.“ Es sei eindeutig erwiesen, dass Lettow-Vorbeck an den Gräueltaten in Afrika beteiligt gewesen sei. „Zudem war er ein Rassist, Militarist und in der Weimarer Republik ein Totengräber der Demokratie“, widersprach Stadler den Ausführungen von Sindlinger.
Siegfried Lehman, auch Freie Grüne Liste, erachtete es als nicht schwerwiegend, dass das Ergänzungsgutachten nicht rechtzeitig vorgelegen habe. „Schon das erste Gutachten aus dem Jahr 2013 belegt eindeutig, dass Lettow-Vorbeck ein Militarist und antidemokratisch bis zum Ende war.“ Auch Norbert Lumbe (SPD) beleuchtete diesen Aspekt. Er begleitete auch die Anhörung mit den Anwohnern und zog den Vergleich mit dem Jahr 2013, als eine Namensänderung im Gemeinderat noch nicht mehrheitsfähig war. Weil die Anwohner schon 2013 nicht den Straßennamen hergeben wollten. Doch die Vehemenz sei damals eine andere gewesen. „Das war eine sehr emotionale Diskussion.“ 2021 sei es in der Informationsveranstaltung mit den Anwohnern weniger um den Namen, als um die Umstände einer Straßenumbenennung gegangen. Er habe aber in den Gesprächen klargemacht, dass nicht die Anwohner, sondern der Gemeinderat entscheide.
2013 gab es im Bundesgebiet noch acht Lettow-Vorbeck-Straßen. Bünde, Halle und Mönchengladbach haben ihre Straßen umbenannt. Jetzt folgt Radolfzell. In Cuxhaven, Delmenhorst, Kaiserslautern und Völklingen steht die Entscheidung noch aus.
Person und Gutachten
- Paul von Lettow-Vorbeck nahm zwischen 1904 und 1906 als Erster Adjutant und Kompaniechef an der Verteidigung der deutschen Kolonien in Afrika teil. Bei der Schlacht am Waterberg kamen 1904 tausende Herero ums Leben. Überlebende des Stammes, auch Frauen und Kinder, wurden von der Kolonialarmee in die Wüste getrieben, wo sie ohne Zugang zu Wasser und Nahrung starben.
- Aus dem Gutachten: Mit dem Abschluss des Aussöhnungsabkommens mit Namibia habe sich die Bundesrepublik zur Anerkennung der Schuld, aber auch zur Aufarbeitung der Kolonialverbrechen, vor allem aber zu einem angemessenen Gedenken an die Opfer verpflichtet. „Mit Paul von Lettow-Vorbeck einen der maßgeblich am Völkermord beteiligten Protagonisten weiterhin mit einem Straßennamen zu ehren, ist damit nicht vereinbar“, heißt es in dem Ergänzungsgutachten von Historikerin Heike Kemper.