Annette Neitsch, Vorsitzende des Turnverein Radolfzell, hat die Entwicklung der Mitgliederzahlen bei der Hauptversammlung als „ein bisschen beunruhigend“ beschrieben: während im ersten Halbjahr 2019 noch 105 neue Mitglieder registriert wurden – bei nur einem Austritt – habe sich das durch die Pandemie verändert:
Während der ersten und kürzeren Welle verzeichnete der TV Radolfzell einen Negativsaldo von elf Mitgliedern. Bei der länger andauernden dritten Welle gab es im ersten Halbjahr 64 Kündigungen gegenüber 15 Eintritten.
Georg Baur ging in seinem Rechenschaftsbericht für das Ressort Sport davon aus, dass die Austritte durch ein ansprechendes Programm wieder aufgefangen werden könnten. Letztlich verlor der Verein im Saldo der vergangenen zweieinhalb Jahre jedoch keine Mitglieder. Er zehrte vom Erfolg seines Angebots und von der Treue seiner rund 1300 Mitglieder. Nach fünf Jahren gibt Georg Baur sein Amt im Ressort Sport an David Kilgus ab. Der zweite Vorsitz bleibt weiterhin vakant.
„Ein sehr bewegtes Jahr“
Angesichts der Einschränkungen durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie könnte man davon ausgehen, dass die Vorstandsarbeit im Turnverein ruhte. Doch das Gegenteil war der Fall: „Es war ein sehr bewegtes Jahr 2020“, so Georg Baur. In den Monaten Januar und Februar 2020 plante der Verein die Veranstaltungen für das Jahr, bis nahezu sämtliche Pläne durch den Ausbruch der Pandemie überholt wurden.
Die Planung für das Sommerfest und die Turnschau, die Teilnahme an der Ehrenamtsmesse sowie ein Auffrischungskurs für die Selbstverteidigung von Frauen fielen der Pandemie ebenso zum Opfer wie die potentielle Gründung einer Abteilung für Kricket. Nachdem die erste Welle der Corona-Pandemie abflachte und Sport in begrenztem Umfang möglich sein sollte, jagte eine neue Verordnung die andere und damit auch die Ausarbeitung vieler neuer Hygiene-Konzepte für einen Sport im Freien und in den Hallen.
Fitness-Videos im Internet
Während den massiven Beschränkungen bot der Verein seinen Mitgliedern im Internet zunächst Videos mit 30 bis 45 Minuten langen Fitnessprogrammen an. Zwei Wochen später erweiterte er sein virtuelles Sportangebot um funktionelle Trainingseinheiten sowie Übungen für Koordination und Gleichgewicht. „Die Rückmeldung war sehr positiv“, resümierte Georg Baur.
Bei der längsten Pandemie-Welle konnten die Mitglieder in Live-Meetings aus wöchentlich 33 Kursen eines Online-Programms wählen. Nach den Lockerungen begann der Sport im Freien auf dem 7000 Quadratmeter großen Vereinsgelände mit Angeboten vorrangig für Kinder. Es folgten dort Beachvolleyball sowie die Leichtathletik auf dem Sportplatz an der Unterseehalle.
Viele wollen draußen trainieren
Das eigene Sportgelände war während der Pandemie wichtiger denn je und wurde sehr gut angenommen, berichtete die Vorsitzende Annette Neitsch. Viele Gruppen wollen nun weiterhin lieber Sport im Freien machen als in einer Halle. Die Instandhaltung des Geländes sei aufwendig und koste richtig viel Geld, so Neitsch: Allein für die Baumpflege habe der Verein im vergangenen Jahr rund 7300 Euro ausgegeben. Der TÜV nahm den Spielplatz in dieser Woche ab. Der letzte Arbeitseinsatz von Mitgliedern sei „ein Stück gelebtes Vereinsleben“ gewesen. Die Jugendgruppe des Vereins traf sich vor vier Wochen zudem mit 44 Jugendlichen zum Grillen auf dem Gelände.
Die Zeit während der Pandemie nutzte der Verein zur Umsetzung von Vorhaben zur Kostensenkung interner Ausgaben. Er strukturierte seine IT neu und überarbeitete die Ehrenordnung. Künftig verteilt der Verein keine Ehrennadeln mehr. Jüngere Mitglieder sehen diese teure Form der Ehrung nicht mehr als zeitgemäß an. Zudem wolle der Verein ein Zeichen der Nachhaltigkeit setzten, da die Produktion in China sei, so Neitsch. Der Turnverein erhöhte die Aufwandsentschädigung für Trainer und Übungsleiter um insgesamt 5500 Euro jährlich. Sie wird in diesem Jahr erstmals im vierten Quartal anteilig ausgezahlt.
Finanzielle Probleme
Die Pandemie belastete den Turnverein auch finanziell. Viele Einnahmenquellen aus den Veranstaltungen versiegten wegen der massiven Einschränkungen im vergangenen Jahr. Der Verein verzichtete während der beiden Lockdowns für insgesamt drei Monate auf die Pachtzahlungen seiner Gastronomie.
Auch die Einnahmen durch die Vermietung der eigenen Gymnastikhalle reduzierten sich, ebenso wie die Einnahmen durch Wettkampf-Startgelder. Insgesamt schloss der TV Radolfzell das Pandemie-Jahr 2020 mit einem Minus von 361 Euro ab. Sein Vermögen beläuft sich – Stand 31. Dezember 2020 – auf über 17.000 Euro.