Marion Ernst ist sauer auf die Politik: Zweimal wurde der Schmuckdesignerin sowie Gold- und Silberschmiedin aus Stahringen mit dem Lockdown im Spätherbst 2020 und 2021 das Weihnachtsgeschäft vermasselt: „So etwas habe ich in 37 Jahren Selbstständigkeit noch nicht erlebt.“ Zwar hat sie Corona-Soforthilfe beantragt und bekommen – aber nur etwas, nicht den vollen Satz. „Die Hilfe gab es nämlich nur für die regelmäßigen Ausgaben wie etwa Miete und Strom, da hatte man aber noch nichts zum Beißen.“ Und das Geld müsse zurückgezahlt werden.
Stammkunden und wenige Aufträge helfen
Die Aufforderung zur Rückzahlung hat sie bekommen, nur der konkrete Zahltermin ist noch einmal nach hinten verschoben worden. Marion Ernst war in dieser schweren Zeit froh über ihre Stammkunden und über einige wenige Aufträge, etwa für Trauringe oder Taufgeschenke.
Aber die fehlenden Gelegenheiten für mehr Geschäfte sind nicht das einzige Problem: „Dazu kommt der gestiegene Goldpreis. Die Menschen kaufen keinen teuren Schmuck, wenn sie nirgendwo hingehen können, um ihn auszuführen“, erklärt Marion Ernst.
In vielen Jahren noch nichts dergleichen erlebt
Seit 27 Jahren lebt die Schmuckkünstlerin im alten Bahnhofsgebäude in Stahringen. „Das war ein Traum, den ich verwirklicht habe“, berichtet sie. Dort ist ihre geräumige, lichtdurchflutete Werkstatt, und dort hat sie eine Vitrine, in der sie ihren ausgefallenen Schmuck ausstellt. Früher hat sie auch in Laden-Gemeinschaften in Bodman und Überlingen gearbeitet und Ausstellungen in der weitläufigen Region beschicken können.

Gleich nach der Lehre mit Gesellenabschluss im Gold- und Silberschmiedehandwerk hat Marion Ernst sich selbstständig gemacht und ein Ladengeschäft mit angekaufter Ware betrieben – zusammen mit einem „handwerklichen Hilfsbetrieb von unerheblichem Umfang“ wie es damals hieß. 1991 dann konnte sie mit Sondergenehmigung die zweijährige Meisterschule in Schwäbisch Gmünd besuchen und mit der Meisterprüfung abschließen.
„Der Frust aus der Corona-Zeit sitzt tief“
Marion Ernst ist also schon lange im Geschäft und hat viel erlebt. Beim Blick in die Zukunft ist sie realistisch. „Ich denke tatsächlich daran, aufzuhören. Derzeit läuft die Goldschmiede als Nebengewerbe, aber der Frust aus der Corona-Zeit sitzt tief und ich arbeite nur noch nach Terminabsprache.“
Wie es für sie weiter gehen könnte? Eine Arbeit mit Jugendlichen könnte sie sich für ihre Zukunft vorstellen. „Vielleicht bietet sich etwas in Sachen Kunsttherapie oder Intervision mit Jugendlichen an, das würde mir sogar mehr liegen und wäre sinnvoller, als etwa Kurse fürs Goldschmieden anzubieten.“
Neuanfang ist eine Option
Schon in der Vergangenheit habe sie Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen gesammelt. Ein halbes Jahr lang hat sie an einer Schule Kunst in den Klassen 7 bis 9 unterrichtet. Sie wurde von der Direktorin einer Gesamtschule angefragt, ob sie spontan für eine erkrankte Lehrerin einspringen könne. Mit Genehmigung des Oberschulamtes in Freiburg durfte sie dann auch in Klasse 10 eingesetzt werden. „Da musste ich anfangs zwar Federn lassen, aber ich habe durchgehalten. Als Teenager habe ich Makarenko gelesen und wusste, dass das Arbeiten mit der Hand auch Spannungen lösen kann und Krisen überwinden hilft.“
Will sie also jetzt mit 61 Jahren noch einmal neu anfangen? Marion Ernst zitiert mit einem verschmitzten Lächeln den griechischen Philosophen Heraklit: „Nichts ist so beständig wie der Wandel.“