Kirche in Zeiten von Corona? Markus Weimer, Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Böhringen, und seine Kollegen in beiden Konfessionen weltweit haben anspruchsvolle Wochen und Monate hinter sich. Wenn Gottesdienste gar nicht oder nur unter strengen Auflagen stattfinden dürfen, wenn der persönliche Austausch mit den Gläubigen stark eingeschränkt ist und selbst eine Beerdigung zum organisatorischen Drahtseilakt wird, müssen Geistliche neue Wege suchen und finden, um ihr Gemeindeleben am Laufen zu halten. Ihm – und vielen anderen Gemeinden im Land – ist das nach einer anfänglichen Hilflosigkeit gut gelungen.
Innovation der Kirche
Bedingt durch die Studienzeit im Ausland war Markus Weimer auf den Ausnahmezustand während des coronabedingten Lockdowns vergleichsweise gut vorbereitet. „Zwar hat die digitale Zukunft der Kirche während meines Hochschulstudiums in der deutschen Fakultätslandschaft nur eine marginale Rolle gespielt. Aber in den Monaten, die ich im schottischen Glasgow studiert habe, konnte ich schon einen Blick in die Zukunft werfen“, erklärt der 44-Jährige. In Großbritannien sei die Digitalisierung der Kirchengemeinden bereits sehr fortgeschritten. „Das hat mich damals sehr inspiriert und ich habe viele Ideen mitgenommen“, erinnert er sich. Das Thema hat ihn seither nicht mehr losgelassen.

Kirche in Großbritannien sehr viel weiter fortgeschritten
Und so kommt es, dass Weimer mitten drin steckt in einer Forschungsarbeit zur Innovation der Kirchen in Großbritannien. Als er vor zwei Jahren – lange vor Corona – mit dem Kirchenbezirk auf der Insel war, bekam er wieder einmal einen guten Eindruck davon, was Digitalisierung in der Kirche zu leisten vermag. „Überspitzt könnte man sagen, dass sich die Vitalität einer britischen Gemeinde an der Größe ihres Mischpults ablesen lässt. Die großen Gemeinden sind zum Beispiel so gut mit professionellen Kameras ausgestattet, dass der Livestream aus dem Gottesdienst ein echtes Vergnügen ist und das Angebot von vielen Gläubigen angenommen wird.“
Wollmatingen Vorreiter während der Corona-Kriese
Trotz dieser Erfahrungen und diesem Wissen war die evangelische Gemeinde in Böhringen nicht die Gemeinde, die beim Streamen von Gottesdiensten während der Corona-Pandemie die Nase vorn hatte. Das sagt Markus Weimer selbst. „Wir haben bewusst auf Streaming verzichtet, weil ich erst ein richtig gutes Konzept haben wollte, mit dem eine qualitativ hochwertige Übertragung möglich ist, die sich die Menschen wirklich gern ansehen“, erklärt er. Die evangelische Gemeinde im Konstanzer Ortsteil Wollmatingen beispielsweise habe hier hervorragende Pionier-Arbeit geleistet, von der Böhringen viel lernen konnte. „Wir haben nur die Kindergottesdienste online geschaltet. Da hatten wir während des Lockdowns hervorragende Zugriffszahlen von bis zu 800 Klicks“, berichtet er begeistert. In einer Gemeinde mit 2000 Gläubigen keine schlechte Quote.

„Corona hat uns Beine gemacht“, sagt Markus Weimer rückblickend, „die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir neue Wege finden müssen, die Leute zu erreichen.“ Ganz überraschend kam diese Erkenntnis für ihn nicht. „Wir hatten schon vorher viele gute Ideen in der Schublade. Aber erst durch die Ausnahmesituation im Frühling begannen wir nach zwei Wochen Schockstarre, alles umzukrempeln. Wir haben angefangen, alles zu digitalisieren, was uns sinnvoll erschien.“
Hochwertiges Equipment für eine gute Qualität
Der Raum, der den FSJlern (Freiwilliges Soziales Jahr) der Gemeinde vorbehalten ist, wurde kurzerhand mit dem für einen professionellen Videodreh nötigen Equipment ausgestattet. Auch im Kirchenraum haben Weimer und sein Team hochwertige Kameras installiert, die Gottesdienste in guter Qualität einfangen und so auch zu Hause erlebbar machen. So kommt es, dass die evangelische Gemeinde Böhringen wenige Monate später ein digitales Angebot auf ihrer ständig aktualisierten Homepage präsentiert, das sich sehen lassen kann.

Gottesdienste werden immer wieder live übertragen, die Predigten gibt es als Audio-Podcast zum Nachhören. Verschiedene Audiodateien mit Tagzeitengebeten für morgens, mittags und abends sind hier ebenfalls zu finden. „Die hat Sebastian Steinbach vom Kloster Hirsau eingesprochen, ein Kollege, der mit mir im Theologen-Netzwerk Churchconvention wirkt. Diese Gruppe war für mich während des Lockdowns eine sprudelnde Quelle an kreativen Ideen“, sagt Weimer. Hier erhielt er viele technische Tipps, zum Beispiel dazu, wie er den Gläubigen Gottesdienste, die im Kirchengebäude unter besonderen Auflagen stattfinden müssen, über die Homepage oder das Telefon zugänglich machen kann. Und seit wenigen Wochen ist nun auch die App der Kirchengemeinde fertig.
Eine App fürs Gemeindeleben
„Wir haben schon lange gemerkt, dass wir ein Medium brauchen, mit dem wir unsere Gemeindemitglieder aktuell informieren können. Wir haben zwar das Gemeindemagazin namens Storch, das wir sehr lieben, aber als mit Corona alle dort abgedruckten Termine plötzlich hinfällig wurden, wurde uns klar, dass wir aktueller und flexibler informieren müssen“, sagt Markus Weimer. Seit 2,5 Monaten steht die App „Ekiboe“ kostenlos für Android und iOS zum Download bereit, bereits 150 der insgesamt 2000 Kirchengemeindemitglieder in den sieben Ortschaften haben sie auf ihrem Smartphone installiert – Tendenz steigend. „So können wir Veranstaltungen ankündigen, Podcasts verlinken und die Gemeinde über Dinge informieren, die gerade passieren.

Auch für den Austausch der Gläubigen untereinander ist die App gedacht“, geht Weimer ins Detail. Die Gemeindemitglieder können sich über den In-App-Chat austauschen, Veranstaltungen eintragen, das Biete/Suche-Portal nutzen oder Empfehlungen aussprechen. „So wird das Gemeindeleben für alle transparent“, erklärt Markus Weimer, „und außerdem war es schon immer eine Herausforderung für die Kirche, das Evangelium in der aktuellen Lebenswelt zu kommunizieren.“ Digitalisierung in der Kirche? Die wird für ihn auch in Zukunft ein großes Thema sein – ganz unabhängig von Corona.
Gut vernetzt
Markus Weimer wirkt bei Churchconvention mit, einem landesweiten Zusammenschluss junger Pfarrerinnen und Pfarrer, Theologinnen und Theologen. Vision sind eine zukunftsfähige Gemeindeleitung sowie zukunftsfähige Gemeinden in Loyalität zu Christus, Kirchenleitung und Tradition. Nach ihrem Selbstverständnis dürfen dabei auch „radikale Ideen“ entstehen. In Zeiten des Lockdowns standen die Mitglieder in engem Austausch darüber, wie sich Kirche in Zeiten einer Pandemie leben lässt.
www.churchconvention.de