Die meisten Radolfzeller kennen das Gebäude als ehemalige Leitzentrale des DRK. Danach stand die Villa leer und Historiker und Architekten fragten sich besorgt, was aus dem historischen Gebäude werden solle. Das ist nun geklärt: Die Firma PVS Mefa Reiss hat das Grundstück und die Villa in der Strandbadstraße 8 erworben und baut sie nach allen Regeln der Kunst um.
Nach allen Regeln der Kunst, das sind in diesem Fall viele. Die Villa Clara ist eine altehrwürdige Dame, sie wurde 1896 erbaut und steht unter Denkmalschutz. Das Regierungsprädidium Freiburg hat deshalb die Obhut über alle Umbaumaßnahmen. Behutsam sind alte Schätze hervorzubringen und funktionelle Elemente wie Treppen an die Gegebenheiten der Moderne anzupassen. Michael Reiss, Geschäftsführer der Firma PVS Mefa Reiss und Bauherr, freut sich auf die Aufgabe gerade wegen ihrer Komplexität. "Wenn man ein solches Objekt bekommt, ist es eine einmalige Chance. Daraus muss man etwas machen."
Das haben Michael Reiss, Architekt Konstantin Wintter und die Restauratorin Melanie Bochmann vor. Nach dem Umbau sollen zwölf Mitarbeiter der privatärztlichen Verrechnungsstelle in der historischen Villa Platz finden, sechs Personen aus der IT arbeiten in einem Raum im Erdgeschoss, sechs weitere im ersten Stock, ein weiterer Raum wird als Aufenthaltsraum genutzt. Neben der Villa entsteht ein moderner Neubau. Hier sollen alle weiteren Mitarbeiter der PVS untergebracht werden, insgesamt 63. Bei aller Liebe zur Historie: Beim Neubau hat es Michael Reiss gerne modern. Die Heiz- und Energietechnik wird vollständig regenerativ ausgerichtet.
Das Gebäude wird mit Geothermie geheizt und im Sommer gekühlt. Die Probebohrungen haben bereits stattgefunden, aktuell werden 18 Löcher mit einer Tiefe von etwa 100 Metern gebohrt. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach soll dafür sorgen, dass sich das Gebäude mit eigenem Strom versorgen kann.
Die Arbeiten an der Villa Clara werden demnächst parallel zur Erstellung des Neubaus laufen. Parallel zu den Umbauarbeiten darf Melanie Bochmann sich um die verborgenen Schönheiten der Villa kümmern. Derer gibt es einige: Gleich im Eingangsbereich zeigt die Vergolder- und Fassmalermeisterin auf eine gemalte Sockelzone, die bereits freigelegt ist. Darüber befindet sich eine Wandmalerei, die noch unter der aktuellen Farbschicht verborgen liegt. "Ein Füllungsfeld ist zu erkennen und darüber vermutlich eine Kartusche", erläutert Bochmann. In den kommenden Monaten wird sie beschäftigt sein, sie freizulegen und zu reparieren: erst dann stellt sich heraus, welche Szene das Bild zeigt. Auf dem Boden im Eingangsbereich ist ein Mosaik zu erkennen. "Alles stammt aus der Bauzeit der Villa. Solch aufwändige Verzierungen ergänzt man selten im Nachhinein".
In beinahe allen Zimmern sind die Decken mit Stuck verziert, in einem Raum wurde bereits ein Stück der ehemaligen Stuckgestaltung freigelegt. Zartes grün zeigt sich als Ursprungsfarbe, Teile des Stucks sind vergoldet. Melanie Bochmann will so wenig wie möglich verändern: "Die Vergoldung wird nicht erneuert." Repariert wird nur dort, wo es unablässig ist. Den Zustand des Interieurs sieht die Restauratorin als beinahe ideal an. "Alle Überarbeitungen des Stucks hat man direkt auf der Fläche vorgenommen. So kann man die darüberliegende Farbe abtragen, die Ursprünge sind erhalten geblieben." Das gelte so auch für eine Holzkassettendecke, die den künftigen Aufenthaltsraum ziert und jahrelang unter weißer Farbe verdeckt war.
Günstig wird die Schönheitskur für die arrivierte Dame nicht werden. Einschließlich des Neubaus wird die Firma PVS Mefa Reiss mindestens sechs Millionen Euro investieren. Was die Restaurationsarbeiten betrifft, seien allerdings Fördermittel des Landes zu erwarten, berichtet Michael Reiss, die man in Kürze beantragen werde. Er beabsichtigt, so viel wie möglich zu restaurieren.
Das Eintauchen in die Vergangenheit hat nicht nur für Restauratoren einen hohen Reiz. "Über die Wandmalereien würde ich gerne etwas über Clara erfahren", sagt Reiss. Auf alten Bildern erkennt man ein Interieur, das den gehobenen Ansprüchen des Radolfzeller Bürgertums entsprach. Der erste Besitzer der Villa war in der Direktion der Firma Schiesser tätig. Es bleibt abzuwarten, welche Details aus dem Alltag zu Beginn des 20. Jahrhunderts Clara, die alte Dame, noch preisgibt.
Umbau und Neubau
- Zur Firma: Die privatärztliche Verrechnungsstelle war bisher in Singen ansässig. Sie übernimmt die Abrechnungen von Eigenanteilen der Privatpatienten von Ärzten und Zahnärzten. Da er in Singen keine geeignete Immobilie fand, entschloss sich Reiss zum Umzug. In Singen sei mit 63 Mitarbeitern der Platz zu eng geworden.
- Zum Projekt: 2015 stimmte der Gemeinderat dem Verkauf der Villa in der Strandbadstraße 8 an die Firma PVS Mefa Reiss für eine gewerbliche Nutzung zu. Das Nachbargebäude und die Garagen im Hinterhof wurden abgerissen, um dem Neubau Platz zu machen. Der Neubau hat einen Energiestandard von KfW 55. Umbau und Neubau sollen bis Mai 2018 fertig gestellt sein.