Die altbekannten gesellschaftlichen Strukturen verändern sich immer rascher und tiefgehender. Familienverbünde werden auseinander gerissen, da berufliche Mobilität immer gefragter ist. Dem gegenüber steht ein immer größer werdender Teil einer alternden Gesellschaft, der so lange wie möglich nicht in Alters- oder Pflegeheimen leben möchte, sondern sich weiterhin aktiv in sein Umfeld einbringen möchte. Die Mitglieder der Planungsgemeinschaft für ein gemeinschaftliches Mehrgenerationenwohnprojekt in Radolfzell namens WiGe gehen davon aus, dass dieser gesellschaftliche Wandel auch zu einem Wandel des Wohnens und Lebens führen wird. Hier möchte die Handlungsgemeinschaft einen in die Zukunft gerichteten Beitrag leisten, um ein selbstbestimmtes, ökonomisch und ökologisch nachhaltiges und soziales Leben in einem neu zu errichtenden Wohnquartier zu ermöglichen.
Eine Vision nimmt konkretere Formen an
Ein gutes Leben für alle, für die gegenwärtigen genauso wie für zukünftige Generationen, unabhängig von Alter, Lebens- und Vermögensverhältnissen, Berufs- und Bildungshintergrund oder der Staatsangehörigkeit – das sind die grundsätzlichen Ziele, die hinter diesem Projekt stehen. Was zunächst als Vision klingen mag, nahm am Wochenende konkretere Formen an. Die Planungsgemeinschaft der Wige hat sich zwischenzeitlich um einen Teil des Erschließungsgebietes in der Nordstadt beworben. Jetzt veranstaltete die Wige eine Planungswerkstatt, bei der drei Architekturbüros mit den interessierten und zukünftigen Bewohnern unterschiedliche städtebauliche Entwürfe erarbeiteten.
Thomas Nöken, Leiter des Dezernats für Umwelt, Planen und Bauen, wurde sehr deutlich: „Wir haben bei anderen Projekten gesehen, dass integratives Wohnen und eine echte Quartiersentwicklung bei Privatinvestoren nicht so im Vordergrund stehen, wie wir es uns als Verwaltung gewünscht hätten. Daraus haben wir gelernt.“
Künftige Bewohner haben erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten
Nicht nur in Radolfzell sind städtebauliche Projekte fehlgeschlagen, für Fehlplanungen gibt es Beispiele in ganz Deutschland. Gibt es trotzdem einen Königsweg? Rainer Kroll, von der Wige unter anderem mit der Moderation der Planungswerkstatt beauftragt, sieht einen für ihn ganz entscheidenden Unterschied: „Hier schauen nicht irgendwelche Investoren nach Gewinnmaximierung und nach einer damit einhergehenden, städtebaulich fragwürdigen, optimierten Flächennutzung. Hier sind es die Bewohner, die dieses Projekt von Anfang an mitgestalten.“ Trotz Kostendrucks und dem Wunsch nach einer schnellen Realisierung hätten die zukünftigen Bewohner des Quartiers erhebliche Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.

Dezernatsleiter sieht Potenzial in der Idee
Dezernatsleiter Thomas Nöken war der Meinung, diese Gestaltungsmöglichkeiten seien von der WiGe auf überraschende Weise kreativ voll ausgeschöpft worden. „Wenn dieses Bauvorhaben erfolgreich umgesetzt werden kann, ist das zukunftsweisend. Nach meiner Einschätzung stünde dann einer Fortsetzung dieser Herangehensweise und einer Erweiterung des jetzt angedachten Baugebietes in der Nordstadt nicht viel entgegen.“
Bis man über eine Fortsetzung nachdenken kann, wird noch Zeit vergehen. Dennoch stehen die Architekturbüros unter Druck. Innerhalb von zehn Tagen sollen ihre endgültigen städtebaulichen Planungen eingereicht werden. Innerhalb dieses Zeitrahmens sind die nun erarbeiteten Wünsche und Vorstellungen in diese Pläne einzuarbeiten. Viel Zeit bleibt den Architekten also nicht.
Projekt und Zeitplan
Nach aktuellem Planungsstand könnten auf dem angedachten Areal in der Nordstadt zwischen 50 und 60 Wohneinheiten in mehrgeschossigen Gebäuden entstehen und weitere neun bis zwölf Einfamilienreihenhäuser. Als nächster Schritt steht ab April des kommenden Jahres die Gründung einer Wohnungsbaugenossenschaft an. Erst danach können Architekten in eine Detailplanung gehen und eine Kostenprognose erstellen. Hier kann es weiteren Erörterungsbedarf geben, da diese Wohnungsbaugenossenschaft auch stark die Sozialverträglichkeit von Mieten und Erwerbskosten berücksichtigen will. (mij)