Thema der Woche: In Öhningen soll ein Bauernhof-Kindergarten entstehen, obwohl die Gemeinde eine ausreichende Anzahl an Kindergartenplätzen vorhält – ein Gespräch mit der Initiatorin Marion Häberle
Frau Häberle, nach Aussage der Verwaltung in Öhningen gibt es in der Gemeinde genügend Kindergartenplätze. Trotzdem wollen Sie mit einem zusätzlichen Angebot am 1. Mai starten. Was ist das Besondere an Ihrem Angebot?
Kinder können im „Schwalbennest“ den Bauernhof, die Tiere und die Natur mit allen Sinnen erleben. Sie brauchen zur Förderung ihrer Entwicklung nicht nur den Umgang und eine stabile Beziehungen mit anderen Menschen, sie brauchen eben auch den Umgang mit der Natur. In einer Welt, die heutzutage von einer permanenten Reizüberflutung geprägt ist, ermöglicht ein Bauernhof klare, einprägsame Sinneserfahrungen.
Das bedeutet ganz konkret?
Wenn Kinder einmal ein frisch gelegtes Ei in die Hand nehmen oder in eine selbst geerntete Möhre beißen können, erleben sie einen besonderen und ganz intensiven Moment mit der Natur. Hierbei lernen die Kinder auch weitere wichtige Komponenten des Lebens, wie Geburt, Wachstum, Veränderung und Vergänglichkeit. Das führt dazu, dass sie Geduld üben, Kontinuität erleben und die Elemente und Jahreszeiten verstehen. Dadurch erkennen die Kinder die Natur als ein lebendiges und schützenswertes Gut.
Und dazu reicht ein Tag auf dem Bauernhof, wie es andere Kindergärten ja schon oft anbieten, oder der Schulunterricht nicht?
Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren wollen diese Elementarerfahrungen selber machen und wollen alles selbst einmal ausprobieren. Da ist ein Bauernhof ein Erlebnisort der Extraklasse. Andererseits gibt es aufgrund der Industrialisierung in der Landwirtschaft kaum noch Möglichkeiten, einen Bezug zum Ursprung unserer Lebensmittel zu bekommen. Das kann man nach meiner Meinung nicht auf einen Tag im Monat beschränken.
Was machen denn die Kinder in einem Bauernhof-Kindergarten während des Tages?
Das hängt natürlich von der Jahreszeit und vom Wetter ab. Trotzdem gibt es auf einem Bauernhof auch für kleine Hände immer etwas zu tun oder zu entdecken. Säen und pflanzen, Kartoffelkäfer sammeln, etwas ernten oder den Mähdrescher bestaunen. Die Kinder haben bei uns auch die Möglichkeit, aktiv an der Fütterung der Tiere auf unserem Hof teilzunehmen.
Aber Kinder wollen doch auch spielen und sich bewegen.
Das ist völlig richtig und für die Kinder eine ganz wichtige Grundlage für ihre spätere Entwicklung. Diesem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder sind auf unserem unebenen und unvorgefertigten Gelände keine Grenzen gesetzt. Dieser Bewegungsdrang ist die Grundlage für eine gesunde geistige Entwicklung, denn in keinem anderen Lebensabschnitt spielt Bewegung eine so große Rolle wie in der Kindheit. Das Gehirn lernt in diesem Alter in der Bewegung unterschiedliche Sinneswahrnehmungen miteinander zu verknüpfen und stimmt so grob- und feinmotorische Bewegungsabläufe aufeinander ab.
Das lernen Kinder in einem klassischen Kindergarten nicht so gut?
Es gibt inzwischen Untersuchungen zum Thema Schulreife von Kindern aus Natur- und Waldkindergärten im Vergleich zu regulären Kindergärten die zeigen, dass Kinder aus Natur- und Waldkindergärten in den Bereichen Motivation, Ausdauer und Konzentration, Sozialverhalten, Mitarbeit im Unterricht sowie in musischen, kognitiven und körperlichen Bereichen besser abschneiden. Die Vorbereitung auf die Schulreife ist somit optimal gegeben.
Zu Person und Projekt
Marion Häberle ist Bauernhof-Pädagogin und angehende Hauswirtschaftsmeisterin. Der Linsenbühlhof ist ein Aussiedlerbauernhof, zirka 1 Kilometer oberhalb von Öhningen in Richtung Schienen gelegen. Die Familie Häberle betreibt diesen Hof in der dritten Generation. Mit zum Team gehört Daniela Ruckh, leitende Erzieherin des Bauernhof-Kindergartens.
Vorläufig ist eine wöchentliche Betreuung von 30 Stunden angedacht. Die Betreuung der Kinder findet täglich von montags bis freitags statt. Die Kernzeit der Betreuung soll in den Sommermonaten von 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr sein. Die monatlichen Elternbeiträge belaufen sich für Kinder aus Öhningen und Umgebung auf 150 Euro. Für Kinder aus der Schweiz beträgt der monatliche Elternbeitrag 600 Euro, da für diese Kinder keine Zuschüsse vom Land oder von der Kommune gezahlt werden.