Doris Burger

Vor der Kulturscheune in Wangen begrüßen zwei Ziegen die Besucher, im Hof zupfen drei Schafe, rund und dick in ihrer Winterwolle, Heu aus einem Futterverschlag. Es riecht nach Stall. Eine steile Außentreppe hinauf gelangen die Besucher in den Aufführungsraum, eine große Scheune unterm offenen Dachstuhl. Viele Familien sind darunter, die Kinder haben es sich auf den Strohballen der vorderen Reihen bequem gemacht. Decken und Kissen sind praktisch, ist die Scheune doch ungeheizt – genau wie der Stall in Bethlehem, um den sich gleich alles drehen wird. Eine authentischere Spielstätte für ein Christgeburtsspiel lässt sich kaum denken.

Vera Floetemeyer begrüßt die Gäste, und erklärt kurz die wunderliche Sprache: Der Ort Oberufer, wo das Weihnachtspiel entstand, war ein von Deutschen besiedeltes Dorf in Ungarn. Die sogenannten Donauschwaben haben sich einen eigenartigen Dialekt bewahrt. In dieser Sprache ist der Text abgefasst.

Drei Engel sind dabei, sie geleiten und singen wunderbar, während ganz weltlich an Türen geklopft wird, um Herberge zu suchen. Sagenhaft die vier Hirten, darunter der wortgewaltige Schreiner Andreas Nitschke (bekannt von der Theatergruppe der Zeller Kultur) und der kleine Jonte Kiener, dessen Schwester Merle wiederum einen Engel gibt. Mutter Susanne spielt den guten Wirt. Familiengeschichten, Familienbande.

Wer mit Walddorfschulen nichts am Hut hat, empfindet das Spiel als fremdartig und faszinierend, und wer doch, hat wohl ein Déja-vu. Denn das Christgeburtsspiel gehört zum Bildungskanon der anthroposophischen Einrichtungen. So berichtet es auch Ulrike Gruben, Schwester von Peter Gruben, der in Wangen den hartherzigen Wirt spielt. Eigens 600 Kilometer reist sie jedes Jahr aus Düsseldorf heran, um das Oberufener Weihnachtsspiel auf der Höri zu sehen. „Damit bin ich groß geworden“, sagt sie, „und erst dann fängt Weihnachten an.“