Kerstin Steinert und Jenna Santini

Auf dem Hof der Straßenmeisterei in Radolfzell ist viel los. Zwischen großen Kehrmaschinen wuseln Mitarbeiter in orangefarbenen Hosen umher – aber was ist das? Auch eine kleine Gruppe in Anzügen und mit vielen Kameras ist auf dem Gelände. Sie steht vor einem Bauzaun – einem Stück Zeitgeschichte.

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Einer der Anzugträger: Landrat Zeno Danner. Er steht mit Paula Lutum-Lenger, Ausstellungsleiterin des Stuttgarter Museums Haus der Geschichte Baden-Württemberg, vor sieben Bauzaun-Elementen. Mit rot-weißem Absperrband steht in kunstvollen Lettern „Kreuztanz“ auf dem Zaun. Den letzten Zaun ziert ein Herz. Dieser Zaun und dieser Schriftzug haben vom 15. März bis zum 15. Mai Geschichte geschrieben. Dieser Zaun trennte neun Wochen lang Konstanz und Kreuzlingen. „Das ist endlich Geschichte“, sagt Landrat Danner.

Was gesammelt wird, hängt vom Schwerpunkt des Museums ab

Sieben der Bauzaun-Elemente hat der Landkreis Konstanz nun an das Haus der Geschichte in Stuttgart übergeben. Sie werden bald in einer Ausstellung in Stuttgart zu sehen sein (siehe dazu Artikel auf Seite 9). „Bereits im Mai wusste ich, dass ich ein Stück von dem Bauzaun für unser Museum möchte“, erzählt Lutum-Lenger gegenüber dem SÜDKURIER. Deshalb sei sie aktiv auf das Landratsamt zugekommen. Noch vor der Grenzöffnung habe sie vereinbart, dass ein Stück des Zauns nach Stuttgart komme.

Kaum wegzudenken: Ohne Mund-Nasen-Maske klappt kein Einkauf mehr. Jeder besitzt so eine Maske. Bild: Martina Wabro
Kaum wegzudenken: Ohne Mund-Nasen-Maske klappt kein Einkauf mehr. Jeder besitzt so eine Maske. Bild: Martina Wabro | Bild: Martina Wabro

Einige Museen sehen das ähnlich. Sie sammeln gerade Objekte, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen. „Was gesammelt wird, ist natürlich davon abhängig, welchen Schwerpunkt ein Museum hat“, sagt Tobias Engelsing, Leiter der städtischen Museen in Konstanz. „Wir haben einige Objekte gesammelt, die einen lokalen beziehungsweise regionalen Bezug haben. Außerdem haben wir eine Fotodokumentation in der Stadt gemacht“, erklärt er.

Der Bauzaun ist zu groß für das Kreisarchiv

Auch Christoph Bauer, Museumsleiter des Kunstmuseums Singen, sagt: „Als ein Kunstmuseum sind wir weniger an den Realien in Verbindung mit der Corona-Pandemie denn an der künstlerischen Verarbeitung dieses einschneidenden Geschehens interessiert.“ Bis dato hätten sie aber noch keine Exponate gesammelt. „Was aber noch nicht ist, wird vielleicht in Zukunft doch sein“, sagt Bauer.

Sammeln andere Museen?

Kreisarchivar Friedemann Scheck ist dafür schon fleißig am Sortieren und Einordnen. Allerdings schränkt er ein: „Als Archivar verwaltet man nicht so gerne solche riesige Objekte wie den Bauzaun.“ Er kümmert sich lieber um Fotografien, Papiere, Bild- und Tonaufnahmen. Vor allem Schriftstücke aus dem Landratsamt, Corona-Verordnungen oder Pressemitteilungen fallen in sein Aufgabengebiet. Ihm ist allerdings auch bewusst: Wir schreiben gerade Geschichte.

Auch Bürger können mit sammeln

Abseits der gesammelten Akten soll es deshalb auch einen Aufruf an die Bürger geben. Diesen begründet Marlene Pellhammer, Pressesprecherin des Landratsamtes, so: „Trotz aller Aufgabenvielfalt der öffentlichen Verwaltung ist es zu allen Zeiten wichtig, die amtliche Überlieferung durch Zeitdokumente nichtamtlicher Herkunft zu ergänzen, um ein ganzheitlicheres Bild zu erhalten.

Die Kunstgrenze zwischen Konstanz und der Schweiz war von 2006, als in einem offiziellen Akt der Grenzzaun durchschnitten wurde, bis ...
Die Kunstgrenze zwischen Konstanz und der Schweiz war von 2006, als in einem offiziellen Akt der Grenzzaun durchschnitten wurde, bis März 2020 offen und durchlässig. In der Corona-Krise der Verlauf der EU-Außengrenze über Wochen mit zwei Zäunen gesichert und nicht passierbar. Ein Teil des Zauns wird am Dienstag, 16. Juni, an das Haus der Geschichte Baden-Württemberg übergeben. Bild: Aurelia Scherrer | Bild: Scherrer, Aurelia

Dazu gehören beispielsweise Zeitungen, Webseiten, Bildaufnahmen, aber auch persönliche Aufzeichnungen, wie Tagebücher, Fotos, Blogs oder Chatverläufe.“ Darum plane das Kreisarchiv Konstanz gerade einen Aufruf zur Einsendung und Ablieferung von Zeitzeugnissen, Dokumenten, Ton- und Bildaufzeichnungen, die den spezifischen Charakter der letzten drei Monate widerspiegelten, sagt Pellhammer.

Menschen helfen einander: Auch die Nachbarschaftshilfe ist ein Teil der Corona-Geschichte. Bild: Patrick Seeger
Menschen helfen einander: Auch die Nachbarschaftshilfe ist ein Teil der Corona-Geschichte. Bild: Patrick Seeger | Bild: Patrick Seeger

Eine Zäsur unserer Zeitgeschichte

„Interessant wären dabei vor allem Zeugnisse, die das private Leben in Zeiten des Lockdowns dokumentiert haben und auch in der Zukunft einen Eindruck davon vermitteln können, wie wir als Privatpersonen, als Familien, Freundeskreise und Gesellschaft mit dieser Herausforderung umgegangen sind“, erläutert die Pressesprecherin.

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Wie hoch das Kreisarchiv die Bedeutsamkeit der Corona-Krise einschätzt? Marlene Pellhammer sagt dazu: „Zur belastbaren Einschätzung der historischen Bedeutung ist stets auch eine gewisse historische Distanz notwendig. Dass die Coronazeit eine Zäsur in unserer Zeitgeschichte darstellt, darf man aber angesichts der Neuartigkeit der getroffenen Maßnahmen schon heute annehmen.“

Auch das Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck sammelt bereits

Während Archive quasi das historische Gedächtnis für ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche sind, steht es Museen frei, ob und was sie von einem Ereignis sammeln.

Das Freilichtmuseum in Neuhausen ob Eck im Landkreis Tuttlingen strebt zum Beispiel ein Sammlungsprojekt an. „All das, was um uns herum gerade geschieht, hat den Charakter eines historischen Großereignisses“, heißt es in einer Pressemitteilung.

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