Am schlimmsten ist es, die Nachrichten zu hören und nichts tun zu können. Alina Brenneisen lebt in Radolfzell, sie stammt aus der Ostukraine. Der Krieg hat ihre Heimatstadt Kremena im Gebiet Luhansk längst eingeholt. Der Ort liegt zum Zeitpunkt des Gesprächs noch 60 Kilometer von der Frontlinie entfernt, inzwischen vermutlich weniger. Dass Kremena, wo ihre Eltern immer noch leben, von Kämpfen verschont bleibt, ist äußerst unwahrscheinlich.

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Am Telefon kann Alina Brenneisen die Tränen nicht zurückhalten, als es um ihre Eltern geht. Sie macht sich große Sorgen um sie, aber im Moment wäre es nicht möglich, sie aus der Ukraine herauszuholen. Zumal sie bleiben wollen.

Irgendwann hat sie beschlossen, dass es ihr noch schlechter geht, wenn sie gar nichts tut. Das war die Geburtsstunde der Idee: Zusammen mit dem Verein „Open“ organisieren sie nun einen Hilfstransport in die Ukraine. Infos über den Verein und seine Aktivitäten im Netz unter open-verein.de.

Schlafsäcke brauchen die Binnenflüchtlinge in der Ukraine in jedem Fall.
Schlafsäcke brauchen die Binnenflüchtlinge in der Ukraine in jedem Fall. | Bild: Alina Brenneisen

„Ich habe mit meinem Chef gesprochen und er erklärte sich gleich bereit, die Aktion zu unterstützen“, berichtet Brenneisen. Sie arbeitet bei „Mein Einkauf“, einer E-Commerce-Firma im Konstanzer Industriegebiet. Wenn es um den Ukraine-Krieg geht, will Jan Bomholt, Chef von „Mein Einkauf“, nicht passiv bleiben. Er hat viele Jahre Kontakte nach Osteuropa gepflegt.

1991 sei er zum Schüleraustausch nach Leningrad (St. Petersburg) gereist und habe dort bei einer Familie gelebt. Den Kontakt zu dem damaligen russischen Austauschschüler hat er lang gehalten, dann aber nicht mehr gepflegt. Aus Anlass des Krieges in der Ukraine kontaktierte Bomholt seinen russischen Freund. Bereits wenige Minuten später erhielt er diese E-Mail: „Lieber Jan, es ist ein Alptraum. Für uns auch.“

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Arbeitsteilung bei der Organisation

Deshalb sammeln Bomholt und Brenneisen jetzt gemeinsam: Der Chef hat Kontakte zu Firmen, die sich an der Hilfsaktion beteiligen wie Edeka Baur und die Blechnerei Schächtle, und die Mitarbeiterin alles andere: Sammelstellen hat sie in Konstanz und Radolfzell eingerichtet. Dort werden Isomatten, Schlafsäcke, Kleidung gelagert, bis die Transportfahrzeuge beladen werden. Parallel dazu knüpft Brenneisen Kontakte in die Ukraine, damit Freiwillige die Sachspenden übernehmen und sie dorthin verteilen, wo sie dringend gebraucht werden. Jan Bomholt hat zugesagt, den Transport zu finanzieren.

Bei der Firma „Mein Einkauf“ kommen die Sachspenden zusammen, die an die Grenze zur Ukraine gefahren werden. Die ...
Bei der Firma „Mein Einkauf“ kommen die Sachspenden zusammen, die an die Grenze zur Ukraine gefahren werden. Die Sammelstellen befinden sich aber anderswo. | Bild: Hanser, Oliver

Es ist nicht das erste Mal, dass Alina Brenneisen sich an der Organisation eines Hilfstransports beteiligt. Bereits 2014 waren sie und ihr Mann Mitgründer des Vereins „Open“ mit Sitz in Freiburg, der sich in Folge der Annexion der Krim durch Russland und der Besetzung der ostukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk bildete und die Menschen dort mit Hilfslieferungen unterstützt. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Arbeit des Vereins weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Donezk? Luhansk? Die westliche Staatengemeinschaft und die Medien zeigten wenig Interesse, sich für die territoriale Integrität der Ukraine einzusetzen. Ganz anders die Situation im Moment, nachdem Russlands Präsident einen Angriffskrieg gegen die gesamte Ukraine gestartet hat, Städte im ganzen Land unter Beschuss nimmt.

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„Warum muss das sein? Mitten in Europa?“

Einige weitere Konstanzer Firmen wollen sich an der Hilfsaktion oder nachfolgenden Aktionen beteiligen. Bei Edeka Baur denkt man darüber jedenfalls nach: „Derzeit stimmen wir uns noch ab, welche Hilfsgüter am meisten benötigt werden, sodass wir gezielt diese Waren zur Verfügung stellen können“, schreibt Dennis Fritzsche, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Edeka Baur. „Wir finden es wichtig, durch diese Aktion auch ein Zeichen zu setzen, dass wir geeint gegen diesen Krieg in der Ukraine stehen.“

Sammelstelle für Hilfsgüter: Windeln für Babys werden gebraucht.
Sammelstelle für Hilfsgüter: Windeln für Babys werden gebraucht. | Bild: Alina Brenneisen

Zur selben Zeit, während sie in Radolfzell und Konstanz den Hilfstransport organisiert, steht Alina Brenneisen mit ihren Eltern in der Ostukraine in Kontakt. Per WhatsApp und mit Videoanrufen können sie kommunizieren. Das Haus der Eltern hat einen Keller. „Aber ob das reicht, wenn die Angriffe beginnen?“, fragt sich die junge Frau. „Warum muss so etwas sein? Mitten in Europa?“, fragt sie. Die Angst ist ihr steter Begleiter: „Immer, wenn sie das Telefon einmal nicht gleich abnehmen, bleibt mir das Herz stehen.“