„Alles hängt mit allem zusammen“: Das ist nicht nur der Kern vieler Verschwörungsmodelle, sondern auch eine gern befolgte Devise für Drehbücher; vor allem bei Krimis. Die Qualität der Filme resultiert meist aus der Frage, wie plausibel es den Autoren gelungen ist, die Zusammenhänge zu erklären.

In dieser Hinsicht ist Timo Berndts Erzählung vom „Wegspuk“ vorbildlich. In seinem zehnten Drehbuch für „Die Toten vom Bodensee“ erzählt er eine Geschichte, die allein durch ihre Vielschichtigkeit fasziniert; aber nicht nur deshalb ist Michael Schneiders Episode endlich mal wieder ein richtig guter Beitrag zu der zuletzt nur noch mittelmäßigen Krimireihe.
Die Handlung: Eine Villa, in der es spukt
Zentrum der Handlung ist eine seit vielen Jahren leerstehende und entsprechend heruntergekommene alte Villa, in der es angeblich spukt. Tatsächlich hören drei Kinder, die sich im Rahmen einer Mutprobe ins Haus geschlichen haben, unheimliche Geräusche, doch die sind keineswegs jenseitigen Ursprungs: In einem der vielen Zimmer tötet ein junger Mann einen älteren. Weil die Kinder eine Kamera auf Rädern vorgeschickt haben, hat die deutsch-österreichische Ermittlungsbehörde einen zweifelsfreien Beweis: Jakob Stocking (Robert Finster) hat den Bauunternehmer Hauer erstochen. Er versichert jedoch, er habe in Notwehr gehandelt und den anderen überhaupt nicht gekannt.
Die anonyme SMS, mit der er zur Villa gelockt wurde, ist jedoch drei Wochen alt. Und warum hat er nach der Tat ausgerechnet Mia Burgstaller (Katharina Lorenz) um Hilfe gebeten? Die Anwältin ist die Verlobte von Hauers Sohn, hat aber ganz andere Sorgen, denn ihre 15-jährige Tochter Sophia hat kürzlich versucht, sich das Leben zu nehmen – im Garten der Villa; seither liegt sie im Koma. Auch Stocking steht unter dem Eindruck eines tragischen Ereignisses: Vor zwei Wochen sind seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Der junge Mann schwört, dass der Unfall kein Zufall war; er muss es wissen, denn er war der Fahrer.

Die Villa gehört der Anwältin
Wie in allen guten Krimis wirft jede Antwort, die Hannah Zeiler und Micha Oberländer (Nora Waldstätten und Matthias Koeberlin) finden, neue Fragen auf. Stocking zum Beispiel ist eine Art Phantom, seine Existenz scheint überhaupt erst im siebten Lebensjahr begonnen zu haben. Bis dahin lebte er mit seinen Eltern ohne Kontakt zur Außenwelt auf einer Alm. Noch größer ist die Verblüffung des Ermittlerduos, als sich rausstellt, dass Mia die Villa gehört. Die Kindheit der Anwältin war von einem traumatischen Ereignis geprägt: Während sie ein Wochenende bei ihrem leiblichen Vater verbracht hat, sind ihre Mutter, ihr Stiefvater und ihr jüngerer Halbbruder spurlos verschwunden.

Verzwickte Liebesbande
Timo Berndt erfüllt zwar auch die üblichen Gepflogenheiten des Reihenkrimis, indem er Mias Verlobten (Thomas Unger) als Verdächtigen präsentiert, aber das ist bloß das obligate Ablenkungsmanöver. Viel fesselnder ist die Verflochtenheit der handelnden Personen miteinander, zumal sich offenbar all‘ ihre Lebenswege irgendwann in der Villa gekreuzt haben. Berndt hat es sogar geschafft, das Privatleben von Zeiler schlüssig zu integrieren: Der schon seit einigen Episoden in die Kriminalinspektorin verliebte junge Nachbar Raphael (Christopher Schärf) arbeitet als Pädagoge in einer Ferienbetreuung. Auch Sophia war in dem Zeltlager, und dort findet Zeiler den Schlüssel zur Lösung des Falls.
Bodensee ist nur schmückendes Beiwerk
Sehenswert ist „Der Wegspuk“ nicht zuletzt wegen der wie stets von einer ausgezeichneten Musik (Chris Bremus) untermalten Bildgestaltung. Michael Schneider hat bei den letzten vier Episoden Regie geführt und diesmal mit seinem Kameramann Matthias Pötsch für eindrucksvolle Aufnahmen gesorgt, auch wenn der Bodensee wieder bloß schmückendes Beiwerk ist. Als vortreffliche Wahl erweist sich dafür Robert Finster, Titeldarsteller der Netflix-Serie „Freud“, zumal der Österreicher den Charakter seiner Rolle durch einen ausgeprägten Dialekt unterstreicht.