Für unbeteiligte Beobachter kann es zu einem unterhaltsamen Spektakel werden: Eine Fünfjährige klammert sich auf dem Gehweg ans Bein der Mutter, stößt einen Schrei aus – und fängt dann richtig an zu brüllen, der Mama in den Bauch zu schlagen, zu treten, zu beißen. Die beteiligten Elternteile sind bei solchen Szenen meist weniger amüsiert.
Eine gute Idee ist es, zumindest den öffentlichen Schauplatz eines solchen gelungenen Auftritts rasch zu verlassen. Doch in den vier Wänden können sich solche Szenen ausdehnen. Was passiert da? Ein sehr junger Mensch lässt seiner Wut freien Lauf und lernt gerade, mit seinen Gefühlen umzugehen.
Autonomie statt Trotz
Viele Kinder haben Wutanfälle, das klassische Alter für ihren Beginn liegt bei eineinhalb bis zwei Jahren. „Das ist die erste Autonomiephase, früher sagte man Trotzphase dazu“, erläutert Ulrike Neumann, Mitarbeiterin der Psychologischen Beratungsstelle der Caritas für Kinder, Eltern und Jugendliche in Überlingen. „Die Kinder wollen mitentscheiden und mehr Selbstständigkeit. Sie streben nach Entwicklung, was für sie überlebenswichtig ist.“
Ein weiteres Beispiel: Die Fünfjährige soll ihre Socken aufräumen, bevor sie zum Mittagessen herunterkommt. Das will sie aber nicht. „Und ich mach das nicht“, macht sie ihrer Mutter lautstark klar. „Verstanden? Mach mir jetzt sofort meine Nachspeise!“. Sie poltert die Treppe hinauf, sofort wieder hinunter, umklammert das Bein der Mutter und schlägt mit der Faust heftig auf sie ein. Dabei schlägt sie die Zähne aufeinander, die klare Botschaft: Gleich beiße ich auch noch...

„Wutausbrüche haben immer etwas mit Machtkämpfen zu tun“, sagt Ulrike Neumann. Die Eltern entscheiden etwas, das Kind hält dagegen. „Man könnte die Strategie auch so beschreiben: Wenn ich schon nicht entscheiden kann, dann hindere ich dich zumindest auch daran, handlungsfähig zu bleiben.“
Wut gehöre in jedem Fall mit zum Gefühlsspektrum, verdeutlicht die Pädagogin. Allerdings als Sekundärgefühl, hinter ihr stecken meist andere Gefühle wie Angst, Sorge oder Trauer. Auch Erwachsene seien immer wieder wütend, erinnert Ulrike Neumann, im Idealfall haben sie aber gelernt, die Wut anders, und zwar konstruktiv, zu artikulieren.
„Die Wutanfälle von Kindern sind aber auch schon ein gelerntes Verhalten“, sagt sie. Dieses werde von den Kindern allerdings regelmäßig überprüft und angepasst. Mit der Zeit lernen die jungen Wutbürger, mit den Gefühlen umzugehen. „Wenn mich etwas allerdings später sehr stark emotional erfasst, dann kann ich trotzdem erneut ausrasten.“
Was können Eltern tun, wenn das Kind tobt, brüllt und ausrastet?
- Dem Kind zuhören und ihm sein Gefühl lassen. Versuchen, zu verstehen, warum etwas schmerzt oder warum das Kind wütend ist.
- Im Vorfeld bereits registrieren, dass die Emotionen steigen, um dann rechtzeitiger eingreifen zu können.
- Varianten anbieten. Ablenken und umlenken, so kann man der Wut manchmal den Wind aus den Segeln nehmen.
- Mit dem Kind zusammen auf die Suche nach einer Lösung gehen, ihm entgegenkommen und versuchen, dem Bedürfnis nachzukommen. Als Beispiel: „Ich verstehe, dass du Süßigkeiten haben willst, aber im Moment gibt es keine. Wenn du später welche bekommst, welche Süßigkeit hättest du dann gern?“ Gut ist es, wenn man das Kind mitentscheiden lässt.
Wenn kein Sprechen und Diskutieren mehr möglich ist. Wie können Eltern ihren kleinen Kindern kurzfristig helfen, sich zu beruhigen?
- Man geht als Elternteil so weit vom Kind weg, dass man nicht geschlagen wird.
- Als Elternteil bin ich da für das Kind. Ich biete keine Lösung an, sondern signalisiere: Ich sehe deine Wut.
- Die größte Herausforderung dabei ist, nicht ebenfalls zu eskalieren, sondern ruhig zu bleiben. „Gefühle sind ansteckend“, sagt Ulrike Neumann. „Deshalb sollten Eltern Verständnis mit sich selbst haben und wissen, dass solche Situationen für alle Eltern schwierig sind.“
Was hilft größeren Kindern zwischen fünf und sieben Jahren, die ausrasten?
- Größere Kinder sollte man auf so viel Abstand zu einem selbst bringen, dass man nicht verletzt wird.
- Eine Möglichkeit bei größeren Kindern ist, das Zimmer zu verlassen und deutlich zu machen, dass man sich selbst schützt.
- Manchen Kindern hilft allerdings der Körperkontakt. Dann ist es sinnvoll, in Kontakt mit dem Kind zu bleiben, da zu sein, eine Umarmung anzubieten.
- Um die akute Wut zu dämpfen, hilft Bewegung, um das Adrenalin abzubauen: Es eignen sich Boxen, Trampolinspringen, auch mal laut Schreien. „Damit werden die Stresshormone reguliert“, erklärt Neumann.