Johannes Moser, Bürgermeister von Engen und Vorsitzender des Städte- und Gemeindetags im Kreis Konstanz, hat lang genug zugesehen. Jetzt reicht es ihm und er fordert Unterstützung – und dies bei allen, die diese aus seiner Sicht leisten können. Jede Woche kommen weitere etwa 100 Flüchtlinge in den Kreis Konstanz.

Die Kommunen sind mit dieser Situation überfordert, sagt Moser. Es sei deutlich geworden, dass „Städte und Kommunen die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben“, schreibt er in seinem Brief. Anerkennende Worte der Minister reichten nicht länger aus, „Davon werden keine Unterkünfte gebaut!“ Er wendet sich an alle Landtags- und Bundestagsabgeordnete der Region mit der dringenden Bitte um Hilfe.
Das sind die Themen, die den Gemeinden auf den Nägeln brennen:
- Wohnraum: Die von Bund und Land zur Verfügung gestellten Mittel seien bei Weitem nicht ausreichend, um der Aufgabe nachzukommen, den Flüchtlingen Wohnungen zu beschaffen. Das Land etwa habe dafür eine Fördersumme von 80 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. Ein Quadratmeter neuer Wohnraum solle mit 1000 Euro gefördert werden, schreibt Moser auf Nachfrage des SÜDKURIER.
Eine Person benötige eine Fläche von 12 bis 15 Quadratmeter. Setze man 12 Quadratmeter voraus, könne man damit landesweit 6700 neue Plätze schaffen. „Das ist bei den hohen Zugangszahlen nicht mehr als der Tropfen auf den heißen Stein.“ - Betreuung: Neben Wohnraum fehlt es im Moment an Personal. Es brauche Betreuungskräfte und Hausmeister, schreibt Moser. Das Land habe zum Glück die Mittel für die Integrationsmanager aufgestockt. Die zusätzlichen vier Stellen im Kreis Konstanz seien angesichts der hohen Zugänge aber nicht ausreichend. Die Integrationsmanager haben die Aufgabe, bei der ersten Orientierung der Geflüchteten in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises zu unterstützen.
Darüber hinaus bräuchten die Kommunen aber auch zusätzliche Flüchtlingsbeauftragte, die den Zuwanderern etwas später die Integration in die Gesellschaft erleichtern. „Um diese Stellen zu finanzieren, brauchen die Gemeinden Unterstützung – von Bund oder Land“, sagt Moser im Gespräch mit dem SÜDKURIER. - Die Lage in Engen als Beispiel: Bis Ende 2015 waren 114 Flüchtlinge in Engen untergebracht. Zum 23. August 2022 ist die Zahl auf 311 Personen angewachsen. Dennoch liege Engen noch unterhalb der Quote, also der Zahl an Personen, die es laut Verteilungsschlüssel aufzunehmen habe und die bei 357 Personen liegt. Die meisten Flüchtlinge seien in der GU am Bahnhöfle Neuhausen untergebracht. „Wir gehen zudem aktiv auf Vermieter zu und kaufen als Gemeinde geeignete Häuser“, sagt Moser.
Der Verein „Unser buntes Engen“ unterstütze außerdem mit Ehrenamtlichen in der Betreuung. Die Stadt Engen habe dem Landkreis zwei Gebäude als GU zur Verfügung gestellt. Klar sei aber auch: „Mittelfristig reichen unsere Kapazitäten nicht aus. Deshalb planen wir auf dem ehemaligen Grundstück des Gasthauses Krone in Anselfingen drei weitere Wohngebäude für integratives Wohnen mit Flüchtlingen.“ - Was die Kommunen kritisieren: Johannes Moser geht es nicht nur darum, dass die Gemeinden mehr Geld bekommen. Er warnt auch davor, sie dauerhaft zu überfordern. Von Bund und Land würden immer weitere Aufgaben delegiert an die Kommunen. „Sie können aber nicht alles leisten. Wir sollten uns auf die wesentlichen Aufgaben – wie die Unterbringung der Flüchtlinge – konzentrieren, statt mit immer neuen Ideen zu belasten.“
Als Beispiele nennt Moser den Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung und den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung. „Für die Ganztagsbetreuung haben wir kein Personal mehr und bei der Kinderbetreuung sieht es ähnlich aus.“ Es sei den meisten Gemeinden auch nicht möglich, den Standard weiter auszubauen. Als völlig unnötig erachtet Moser die Einführung des § 2b-Umsatzsteuergesetzes, das ebenfalls einen hohen Verwaltungsaufwand bedeute und dessen Sinn sich ihm nicht erschließe.
Das sagen Vertreter von Bund und Land dazu
Das sagt Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl (SPD) zur geäußerten Kritik: Bundeskanzler Scholz habe den Länderchefs bereits im April zwei Milliarden Euro Unterstützung zugesagt, schreibt Lina Seitzl (SPD) in ihrer Stellungnahme. 500 Millionen seien für die Unterstützung der Kommunen bei den Unterbringungskosten vorgesehen. Weitere finanzielle Regelungen für 2023 würden Anfang November vereinbart.

„Für den Bürokratieabbau haben wir im Bundestag außerdem eine Gesetzesänderung verabschiedet, die den Bau von Unterkünften für Geflüchtete unbürokratisch vereinfacht“, sichert Seitzl zu. Die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge dürften am Ende nicht bei den Kommunen hängen bleiben. Seitzl und Landtagsabgeordneter Storz wolle das Land klar dazu auffordern, die Kommunen bei dieser Frage stärker zu entlasten.
Die Bundestagsabgeordnete Ann-Veruschka Jurisch (FDP) sieht es so: Im Kreis Konstanz seien manche Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen über Gebühr belastet und auf Entlastung durch andere Gemeinden angewiesen. Das Land Baden-Württemberg mache sich dabei einen schlanken Fuß: „Der versprochene Bürokratieabbau und Vereinfachungen in der Bauordnung lassen auf sich warten.“ Der Bau von weiteren Flüchtlingsunterkünften sei durch zu viel Bürokratie belastet.

Kritisch sieht Jurisch auch den Wechsel der ankommenden Ukrainer in die Sozialhilfe. (Nach wenigen Wochen erhalten ukrainische Flüchtlinge nicht mehr Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern Leistungen über Arbeitslosengeld II, was in der Summe mehr Geld bedeutet, Anm. d. Red). „Er setzt innerhalb der EU Anreize, verstärkt nach Deutschland zu kommen.“
Bundestagsabgeordneter Andreas Jung (CDU) erklärt dazu: „Wir müssen den vor Putins Krieg geflüchteten Ukrainern helfen. In den Städten und Gemeinden werde dabei durch öffentlichen und ehrenamtlichen Einsatz Herausragendes geleistet“, schreibt Andreas Jung (CDU) in seiner Stellungnahme. Die Bundesregierung sei gefordert, die Kommunen finanziell zu unterstützen.

„Allgemeine Ankündigungen der Bundesinnenministerin helfen dabei nicht weiter.“ Die Ampel-Regierung müsse alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um mit den Ländern und Kommunen eine angemessene Unterbringung der Geflüchteten zu ermöglichen. „Es muss jetzt schnell und pragmatisch gehandelt werden.“
Das sagt die Landtagsabgeordnete Nese Erikli (Grüne): Die aktuelle Entwicklung der Flüchtlingssituation stelle alle Verantwortlichen vor eine schwierige Herausforderung, die „wir nur bewältigen können, wenn wir auf allen Ebenen zusammenarbeiten“, schreibt sie auf Anfrage.

Die Landesregierung, die Regierungspräsidien, der Landkreis-, Städte- und Gemeindetag hätten sich am 24. August in einer Telefonkonferenz auf ein Vorgehen geeinigt. Sie selbst mache sich als Abgeordnete ein Bild vor Ort und habe die Notunterkunft auf der Mettnau besucht. Zudem arbeite die Landesregierung an einem Förderprogramm, das die Gemeinden bei der Schaffung von Wohnraum unterstütze.
Das sagt der Landtagsabgeordnete Hans-Peter Storz (SPD): „Wir kritisieren in Stuttgart seit Längerem, dass die Landesregierung die Monate mit geringeren Zugangszahlen Geflüchteter nicht genutzt hat, um entsprechende Vorbereitungen zu treffen“, schreibt der Landtagsabgeordnete Hans-Peter Storz in einer Stellungnahme. Förderprogramme würden nur angekündigt und es vergehe zu viel Zeit, bis die Mittel vor Ort ankämen.

Als Beispiel nennt Storz die Integrationsbeauftragten, die stark belastet seien durch die Vielzahl an Flüchtlingen. „Diese Stellen benötigen Verstärkung. Deshalb müssen wir die Zuwendungen des Landes um mehr als die lächerlichen acht Millionen Euro anheben.“ Auch das Förderprogramm für Wohnungen über 80 Millionen Euro sei bislang nur angekündigt und nicht umgesetzt worden.