Sich nur nichts anmerken lassen. Jahrelang war das der Alltag von Edmund Bornheimer. Vor über 35 Jahren erkrankt er an einer bipolaren Störung, also dem Wechsel zwischen tiefgreifender Antriebslosigkeit (Depression) und maßloser Aktivität (Manie). „Es hat zehn Jahre gedauert, bis ich wusste, was es ist“, sagt der Ende-Sechzig-Jährige, der nun auch seit über 15 Jahren ohne erneute Krankheitsphase lebt.
Die manische Phase
Edmund Bornheimer engagiert sich in der Deutschen Gesellschaft für bipolare Störungen (DGBS). Er vertritt im Vorstand die Betroffenen. Dort ist auch Barbara Wagenblast aktiv. Beide leiten eine Selbsthilfegruppe in Singen. Sie die für Angehörige. Er die für Erkrankte. Die manische Phase werde anfangs als Erleichterung erlebt, sagt Barbara Wagenblast.
„Erst mal ist da Freude, dass einer nicht mehr depressiv ist.“ Doch auch die manische Zeit könne das familiäre Zusammenleben schwerwiegend stören. „Da hat einer in einer Minute 1000 Ideen.“ Manche neigten dann zu tollkühnen Plänen und stürzten sich in Investitionen und Schulden. Der Leidensweg sei oft lang: „Es dauert acht bis zehn Jahre, bis die Krankheit klar diagnostiziert ist“, sagt Barbara Wagenblast.
Nicht die Angehörigen vergessen
Die frühere Krankenschwester hält deutschlandweit Seminare für Angehörige und Vertreter von Kliniken. Sie appelliere an Ärzte, nicht zu vergessen, dass Patienten auch Angehörige haben. Es gehe darum, gemeinsam zum Wohle der Familie zu arbeiten. „Ich ermutige Ärzte dazu, die Familie zu stärken, damit diese zusammenhalten kann.“
Am besten sei dies im Trialog zwischen Arzt, Patient und Angehörigem möglich. Sie selbst habe in der Verwandtschaft erlebt, wie zwei Personen bipolar erkrankten. Aufgrund ihrer Kenntnisse in der Krankenpflege habe sie schnell richtig reagieren können. Beide Betroffenen seien wieder im Berufsleben.
Zehn Jahre bis zur Diagnose
In einer akuten Krankheitsphase sei es manchmal notwendig, einem Erkrankten einen rechtlichen Betreuer an die Hand zu geben, ihn also nicht mehr eigenständig Geschäfte tätigen zu lassen. Für Angehörige sei es oft eine große Herausforderung, wenn der Erkrankte gesundheitlich wieder stabil sei, diesem Vertrauen und Verantwortung zurückzugeben. „Er hat ein Recht auf ein eigenes Leben“, sagt Wagenblast.

Edmund Bornheimer hat wegen seiner Erkrankung schwere Zeiten durchgemacht. Beim Telefonat mit dem SÜDKURIER klagt er aber nicht über das Vergangene, er berichtet nur darüber. Heute, so sagt der 66-Jährige, stehe auf seiner Visitenkarten der Satz: „Ich genieße mein Leben.“ Das war nicht immer so.
Medikamente überdosiert
Zehn Jahre habe es gedauert, bis die Störung überhaupt diagnostiziert wurde. Jahrelang sei er müde und erschöpft gewesen, weil die Medikamente überdosiert gewesen seien. „Nicht jeder Arzt passt die Medikamente der jeweiligen Lebenssituation an.“
Er habe depressive Phasen durchgemacht, bei denen er sich an den Arbeitsplatz schleppte. „Ich habe versucht, meine Krankheit zu vertuschen.“ Am Arbeitsplatz habe er nie darüber gesprochen und sich bemüht, sie auch vor den Kindern zu verbergen.
Zeitweise sei er wegen Depressionen in Kliniken gewesen. Über die manischen Phasen sagt er: „Man fühlt sich unheimlich gut. Man ist unheimlich leistungsfähig. Man schläft sehr wenig.“ Er habe in solchen Zeiten Heimwerkeraufgaben angepackt und auch mal den Bodensee an einem Tag mit dem Rad umrundet.
Wie auf Kokain
„Normalerweise würde ich das nicht schaffen.“ Ein Klinikarzt habe mal zu ihm gesagt, eine manische Episode, das sei wie wenn ein Körper 24 Stunden lang Kokain produzieren würde. Der Weg aus dem Leiden kam für Edmund Bornheimer mit der Diagnose. „Ich war erschrocken, aber auch erleichtert, dass ich nun wusste, was es ist.“
Der Aufenthalt in der Singener Tagesklinik habe ihm sehr geholfen. „Das war gut, weil der Alltag weiter läuft.“ Tagsüber habe er sich in der Klinik aufgehalten und abends daheim die Post und andere Aufgaben bearbeitet. Aus seiner Arbeit in der Telefonberatung bei der deutschen Gesellschaft für bipolare Störungen wisse er, dass viele Angehörige mit den Verhaltensweisen eines Erkrankten nicht klar kommen. „Viele sagen, der spinnt.“ Er versuche dann zu vermitteln, dass hinter dem Verhalten keine Böswilligkeit, sondern die Symptome der Krankheit stecken.
Augenblicke genießen
Es sei unsinnig, einem Depressiven Vorwürfe zu machen, weil man diesen für faul oder träge halte. In einer Manie gehöre das Aufgedrehtsein zum Bild der Krankheit, versucht Bornheimer zu vermitteln. In der Depression sei es wichtig, Augenblicke zu schaffen, die der Betroffene genießen könne.

„Und wenn einer gern eine Zigarette raucht, dann soll er das Rauchen in dieser Phase genießen, auch wenn es ungesund ist.“ Es sei sinnvoll, mit dem Betroffenen zu erkunden, was ihm jetzt helfen könnte, sich besser zu fühlen. Es gebe für jeden Menschen individuell unterschiedliche Antworten. „Ich habe für mich herausgefunden, Heimwerken und Radfahren machen mir am meisten Spaß.“
Mittlerweile ist Edmund Bornheimer, der inzwischen ein Tübingen wohnt, wieder so fit, dass er mehrere Ehrenämter ausüben und eine selbst gegründete Firma zum Vermieten und Verkaufen von Elektro-Fahrrädern betreiben kann.