Allein in einem Ruderboot mitten auf dem Atlantik. Rundherum nur Wellen, dunkles Wasser und Wind. Keine Menschenseele, kein Land in Sicht.
Was nach einer Szene aus einem Film klingt, ist für Martin Stengele ein Traum, den er sich in knapp drei Jahren erfüllen will. Denn er hat sich dazu entschieden, an der Atlantic Challenge teilzunehmen. Das ist ein Wettbewerb, bei dem rund 20 bis 30 Ruderboote an den Start gehen. Sie rudern aus eigener Kraft von der Kanarischen Insel La Gomera bis Antigua in der Karibik. Rund 5500 Kilometer sind das laut Stengele.
Mindestens 60 Tage alleine
Diese Distanz will er bewältigen. In einem Solo-Ruderboot. „Ich rechne mit rund 60 bis 90 Tagen für die Strecke, je nach Wetterlage“, sagt er. Begleitung hat er dabei keine. Bei Schwierigkeiten sei er komplett auf sich alleine gestellt. Viel Platz hat er auf dem Ruderboot nicht. Essen gibt es in Pulverform in Tüten abgepackt, getrunken wird aus dem Meer – mithilfe einer Entsalzungsanlage.
Schlafen will Stengele nur rund zwei Stunden, um dann weiterzurudern. Angst vor der Herausforderung hat er nicht. Im Gegenteil: „Ich will mich diesem Wettbewerb stellen und bin positiv gestimmt, dass ich das hinbekomme“, sagt er.
Erfüllung eines Kindheitstraums
Die Idee, an der Atlantic Challenge teilzunehmen, wurzelt in Stengeles Kindheit. „Ich wollte schon immer zur See fahren. Als Kind schon war es mein Traum, Kapitän zu werden“, sagt er. Den Traum habe er sich mit einer vierjährigen Tätigkeit bei der Marine erfüllt. Sein Ziel sei aber seit jeher, es per Seeweg über den Atlantik zu schaffen.
Vor drei Jahren habe er einen Beitrag über vier Hamburgerinnen gesehen, die an der Atlantic Challenge teilgenommen hatten. „Da ist in mir die Überlegung gereift, selbst an diesem Wettbewerb teilzunehmen“, erinnert er sich. Denn er habe sofort gewusst: „Das ist genau das Richtige für mich.“

Im vergangenen Jahr habe er Nägel mit Köpfen gemacht und sich angemeldet. Seine Geschwister seien davon nicht gerade begeistert gewesen, erzählt er. „Viel zu gefährlich“, hätten sie gesagt. Davon ließ sich der 51-Jährige aber nicht beeinflussen. Bis es so weit ist, hat Stengele noch viele Hürden zu überwinden.
„Ich bin mit der offiziellen Anmeldung erst ganz am Anfang des Prozesses“, so der 51-Jährige. Vor der Teilnahme muss er noch etliche Kurse absolvieren, Tests überstehen und 120 Stunden allein auf dem Wettbewerbsboot verbringen.
Wettkampf ohne Rudererfahrung
Martin Stengele ist sportlich, doch Rudern ist Neuland für den 51-Jährigen. Mit der Atlantic Challenge nimmt er das erste Mal überhaupt an einem Wettkampf teil. Ein Problem sieht er darin nicht. Denn beim Training begleitet ihn ein Ruderprofi. Er könne ihm die richtige Technik beibringen.
Wichtiger ist für Stengele neben Technik und genügend Muskelkraft: Durchhaltevermögen. Mindestens 60 Tage lange über den Atlantik zu rudern, zerre nicht nur an der Kraft, sondern auch an den Nerven. “Schmerzen, Übelkeit, Regen und Einsamkeit bestmöglich zu überstehen, erfordert einen eisernen Willen“, sagt Stengele.
„Die mentale Stärke und die positive Einstellung habe ich durch meine Arbeit als Sportmentalcoach gelernt.“ Um sich aber vor allem auf die Einsamkeit vorzubereiten, wolle er noch einen Schritt weiter gehen. „Ich habe vor, zur Vorbereitung in ein Kloster zu gehen“, sagt Stengele.
Trainiert wird auf dem Bodensee
Der 51-Jährige wohnt in Stuttgart. Als Trainingsort hat er sich den Bodensee ausgesucht. Sein Küstenruderer liegt in Moos. „Ich dachte mir, der Bodensee bietet bessere Bedingungen als der Neckar“, so Stengele.
Einerseits habe der See mehr Trainingsfläche, andererseits spüre er dort auch das Wetter stärker. „Die Witterung am See kommt näher an die Gegebenheiten des Atlantiks heran“, sagt Stengele. Nur, um hinzuzufügen: „Natürlich ist der Bodensee im Vergleich zum Atlantik ein Kindergarten.“
Ein weiterer Grund führte Stengele an den Bodensee: Hier ist seine Heimat. Aufgewachsen sei er in Nenzingen.
Allerdings hat Stengele mit Problemen zu kämpfen. Ihm fehlt das Geld für den Wettkampfruderer. „Gebraucht kosten die zwischen 40.000 und 60.000 Euro.“ Dafür sei er derzeit noch auf der Suche nach Sponsoren. Ein weiteres Problem ist, dass er am Bodensee keinen Ruderverein findet, der ihn unterstützen möchte. Auch ein fester Platz für sein Boot fehle ihm derzeit noch.
Teilnahme auch für den guten Zweck
Am Wettbewerb nimmt Stengele nicht nur teil, um sich zu beweisen – auch der gute Zweck soll nicht zu kurz kommen. Er will den Erlös an den Verein Mukoviszidose spenden. Dieser hat das Ziel, Heilung für die Stoffwechselerkrankung zu finden.
Auch die Forschung soll von Stengeles Teilnahme profitieren. Deshalb will er mit dem Institut für Chemie und Biologie des Meeres in Oldenburg zusammenarbeiten. Mithilfe von am Boot installierten Kameras wollen die Forscher die Meeresoberfläche beobachten.
Bedenken, dass bis zur Challenge im Dezember 2024 nicht alle Hürden überwunden sind, hat Stengele nicht. Auch die Wochen auf hoher See bereiten ihm vorerst keine Sorgen. Er sagt: „Es liegt alles im Rahmen des Möglichen.“