Was darf es denn am Wochenende sein? Open Air Theater auf dem Konstanzer Münsterplatz, Sarah Connor auf dem Hohentwiel oder Tanz und Feuerwerk beim Hausherrenfest in Radolfzell? Das Angebot kann sich sehen lassen – an Kulturveranstaltungen mangelt es in der Region grundsätzlich nicht. Wer sich nicht scheut, ein paar Kilometer Auto zu fahren oder sich in den Seehas zu setzen, kann den Sommer über im Landkreis und darüber hinaus vom kleinen Überraschungskonzert bis zur hochkarätigen Ausstellung so ziemlich alles abdecken.
SÜDKURIER-Kommentar: Jenseits des eigenen Kirchturms
Aktuell ist besonders in Radolfzell viel geboten. Zum Stadtjubiläum lassen sich die Kulturmacher nicht lumpen, 750 Jahre Stadtrecht verpflichten. Dabei ist der Leiterin des Fachbereichs Kultur, Angélique Tracik, besonders die Einbindung der Bürger wichtig. Allein 40 Bürgerprojekte finden im Rahmen des Stadtjubiläums statt. "Die Menschen engagieren sich für ihre Stadt und haben eine starke Identifikation", erzählt sie. Gerade die Bürgerprojekte seien ein Beispiel für den Ansatz der Radolfzeller Kulturmacher, nicht aus dem Elfenbeinturm heraus Programm zu machen, sondern die Zielgruppen mitentscheiden zu lassen.
"Die Angebote müssen zur DNA der Stadt passen", sagt Angélique Tracik, Radolfzells DNA verortet sie dabei vor allem im musischen Bereich. Ob Blasmusik-Flashmob, Seefestival mit Brassbands oder Konzerte junger Klassikmusiker bei der Sommerakademie: Wenn es klingt und scheppert, kommen die Radolfzeller gern. Die richtige Nische also in Konkurrenz zu all den anderen ambitionierten Programm-Machern in der Region? Nische ja, Konkurrenz nein, die Angebote in den Nachbarstädten werden eher als Bereicherung wahrgenommen.
"Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir uns als Kulturregion positionieren", findet Angélique Tracik. Ihre Kollegen in den Rathäusern sehen das ähnlich.
Vier kulturelle Höhepunkte des Sommers:
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Schlagerfestival in Konstanz: Mallorca-Stimmung am See
Sängerin Vanessa Mai ist beim Schlagerfestival im Bodenseestadion mit dabei. | Bild: Young David (dpa) -
Kunstausstellung in Stockach: Große Namen in der kleinen Stadt
Ein erster Blick in die Ausstellung „Joan Miró bis Otto Dix“ mit der früheren Museumsleiterin Yvonne Istas. Bild: Freißmann | Bild: Stephan Freißmann -
Sommerakademie in Radolfzell: Klassik mitten in der Stadt
Open Air mal anders: Konzert der Meisterschüler auf dem Gerberplatz. Bild: Jarausch | Bild: Gerald Jarausch -
Hohentwielfestival in Singen: Rockgrößen auf dem Vulkan
Bild: Tesche
Eine besondere Stellung nimmt dabei das Oberzentrum Konstanz ein, das ist auch Sarah Müssig als Leiterin des Kulturbüros bewusst. Aus dieser Stellung wächst aber auch ein besonderer Anspruch. "Konstanz entwickelt sich in Richtung 100 000 Einwohner, die Kultur muss ebenfalls mitwachsen." Dass manche Konstanzer die Südwestdeutsche Philharmonie lieber im Radolfzeller Milchwerk anhören – geschenkt, schließlich wird die Philharmonie finanziell auch vom Landkreis unterstützt und soll so viele Hörer wie möglich glücklich machen. Drängender sei innerhalb der "unglaublichen Bandbreite an Kultur in Konstanz" momentan das Problem fehlender Ausstellungsflächen. Bei der zeitgenössischen Kunst sieht Sarah Müssig tatsächlich noch eine Angebotslücke in der größten Stadt am Bodensee. Hier punktet Singen: Das Kunstmuseum wurde umfassend modernisiert, das MAC (Museum Art and Cars) lockt seit 2013 mit spannender Architektur unterm Hohentwiel und ungewöhnlichem Ausstellungskonzept, finanziert von den Stiftern Hermann Maier und Gabriela Unbehaun-Maier.
Und irgendwo zwischen den beiden Platzhirschen, an einem schönen Fleckchen am See, hat ein kleines Team auch ein paar gute Ideen. Jazzgrößen wie Till Brönner oder Rebekka Bakken im 7000 Einwohnerort Allensbach? Ja, das geht. Kulturbüroleiterin Sabine Schürnbrand hat keine Antwort auf die Frage parat, wie sie regelmäßig Superstars ins Pfarrheim lockt. Aber die Künstler schon: "It's because of lovely Sabine", sagt zum Beispiel die irische Naturgewalt von einer Sängerin, Camille O'Sullivan. Sabine Schürnbrand übersetzt das Kompliment etwas zurückhaltender in "persönlich kümmern, viel Herzblut einbringen und Teamgeist". Über die Jahre ist so ein beeindruckendes Netzwerk entstanden, von dem die ganze Region profitiert, Allensbach vorneweg. "Das Publikum ist mitgewachsen", erzählt Sabine Schürnbrand, "die Atmosphäre und die Aufmerksamkeit schätzen auch die Künstler."
Anspruchsvoll, neugierig, offen, aber etwas zurückhaltend bei hohen Eintrittspreisen: so sieht das Publikum am Bodensee nach Einschätzung der Kulturmacher aus. Bei etwa 35 Euro für ein Ticket ist die Grenze, so die Beobachtung von Sabine Schürnbrand in Allensbach. Umsonst und draußen am Seegarten wird aber natürlich gern genommen. Ein bisschen Platz für neue Veranstalter mit guten Ideen gibt es auch noch im Landkreis. In Konstanz entstehen Elektro- und Pop-Festivals für junges Publikum, in Öhningen auf der Höri startet im August ein Festival für klassische Musik. Die Höri-Musiktage (10. bis 13. August) im ehrwürdigen Chorherrenstift sollen zum Podium für junge Talente werden – und Jugendliche bis 16 Jahren haben freien Eintritt. "Jeder soll Kultur erfahren können", sagt Sabine Schürnbrand, die Kulturmacherin aus Allensbach. Nur in den Seehas oder aufs Fahrrad steigen müssen die Zuschauer schon selber.