Bei Politikern ist Ausdauer eine Tugend. Denn Demokratie kann mühsam sein. Dicke Bretter bohren, heißt es. Wenn das Wahlvolk mitspielt. Und gerade in der Kommunalpolitik, wo die Reaktionswege zwischen Bürger und Mandatsträger kurz sind, sind vielleicht Erfolge am greifbarsten. Nicht Geld, aber Genugtuung winkt jenen, die Wichtiges bewegen – beim Bau eines Schulzentrums, beim Ausbau des Busnetzes, bei der Gründung eines Klinikverbunds. Doch auch für die Marathonläufer der Kommunalpolitik ist einmal Schluss. Voraussichtlich am 26. Mai 2019 wählen die Baden-Württemberger neue Komunalparlamente. Zehneinhalb Monate vor dem Termin wird im Kreis Konstanz noch wenig über Kandidatenlisten gesprochen. Doch für eine Reihe von Kreisräten, die über Jahrzehnte wichtige Stellschrauben in der Kreispolitik gedreht haben, ist klar, dass sie dem neuen Kreistag nicht mehr angehören wollen. Der Konstanzer Kreistag steht vor einem einschneidenden Generationswechsel.
FW-Fraktionschef: Es ist genug

Einige Mandatsträger haben sich bereits freimütig zum Abschied bekannt. Zum Beispiel Artur Ostermaier, der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler. Der 67-Jährige hatte zum Jahreswechsel bereits sein Amt als Steißlinger Bürgermeister abgegeben, 2019 folgt der Rückzug aus der Kreispolitik. "Nach so langer Zeit ist es genug", sagt Ostermaier. 40 Jahre war er ein Sprachrohr der Freien Wähler und ein wichtiger Spieler in der sogenannten Bürgermeister-Fraktion im Kreistag. Dabei handelt es sich um die Rathauschefs von 20 Städten und Gemeinden im Landkreis, die fraktionsübergreifend eine starke Allianz im derzeit 68 Köpfe zählenden Kreistag bilden können, wenn es darum geht, die Interessen der Städte und Gemeinden gegenüber dem Landkreis zu vertreten. In diesem Balancespiel hat der Verwaltungsfachmann sich über viele Legislaturperioden als Meister erwiesen. Nun macht er den Weg frei – vielleicht für den neuen Steißlinger Bürgermeister, Benjamin Mors (27).
Auch der CDU-Verkehrsexperte geht

Den Weg frei machen auch zwei weitere Vertreter der Bürgermeisterfraktion: Helmut Kennerknecht (64) und Heinz Brennenstuhl (62). Nach sieben Wahlperioden Mitgliedschaft im Kreistag gehe er "mit einem guten Gefühl für das gemeinsam in diesen Jahren Geleistete", so der frühere Allensbacher Bürgermeister Kennerknecht. Sein Wissen als Verkehrsexperte der CDU wird er mitnehmen. Kennerknecht rechnet stets nach, wenn Zahlen vorgelegt werden. Er liest auch das Kleingedruckte in den Verträgen des Verkehrsverbunds und er hat mit seinem hartnäckigen Einsatz für den Schienenverkehr Verantwortliche der Deutschen Bahn zur Weißglut getrieben.

Heinz Brennenstuhl (62), im Mai als Rathauschef in Gailingen verabschiedet, verlässt ebenfalls 2019 den Kreistag. Er findet es aber wichtig, dass seine Partei, die CDU, weiterhin auch mit Bürgermeistern im Kreistag vertreten ist.
SPD verliert ihren Strategen

Nach Erfahrung von Landrat Frank Hämmerle ziehen bei einer Wahl etwa ein Drittel neue Köpfe ins Gremium ein. Doch diesmal, so ist er überzeugt, sind es mehr. Hämmerle rechnet damit, dass sich die Konstellationen ändern (siehe Beitrag unten). Denn wichtige Meinungsführer nehmen Abschied. So wie Jürgen Leipold (74). Der Sozialdemokrat ist dienstältester Kreisrat überhaupt. Seit 1971 ist er dabei. Leipold gilt als Stratege in der Fraktion, "egal wer vorne Fraktionsvorsitzender ist", sagt ein anderes Kreistagsmitmitglied. "Kreistag ist oft mühsam, nicht selten ärgerlich, fast immer wichtig, in der Summe: Es hat Spaß gemacht", formuliert Jürgen Leipold. Mit ihm werde auch seine Frau Brigitte aus dem Kreistag ausscheiden, kündigt er an. Die Erwartung des großen Generationswechsels gründet auch auf statistischen Daten. 2018 sind 30 der 68 Mandatsträger 60 Jahre und älter. 20 Kreistagsmitglieder werden im laufenden Jahr 65 und älter. Fünf Kreisräte erreichen 2019 das 60. Lebensjahr.
Wissenschaftler sieht Herausforderung

Was ist zu tun, wenn durch den Generationswechsel Wissen und Erfahrung verloren gehen? "Das ist eine große Herausforderung für das Gremium", sagt Florian Kunze. Der Verwaltungswissenschaftler ist Inhaber des Lehrstuhls für Organisationsforschung an der Universität Konstanz und beschäftigt sich unter anderem mit demografischen Effekten in Unternehmen. "Ziel muss es sein, Wissen der ausscheidenden Mitglieder transparent für die Neuen festzuhalten und zu übertragen", sagt Kunze. Schwierig werde dies allerdings, wenn es um informelle Netzwerke über Fraktionsgrenzen hinweg gehe. Der Organisationsforscher empfiehlt, ausscheidende Kreistagsmitglieder könnten zum Beispiel noch einige Zeit als Berater bereitstehen.
Ältester Kreisrat (78) will bleiben
Tröstlich ist am Ende, dass es nicht alle Kreisräte im Rentenalter aus der Kreispolitik drängt. Dieter Rühland (78), der Älteste im Kreistag, hält sich eine weitere Kandidatur offen: "Ich habe nicht den Eindruck, dass ich in der Debatte nicht mehr mithalten kann."
"Kompetenz geht verloren"
Landrat Frank Hämmerle (Jahrgang 1952) ist Vorsitzender und Sitzungsleiter des Kreistags. Er stellt sich auf Veränderungen ein

Herr Hämmerle, der Konstanzer Kreistag steht vor einem weitreichenden Generationswechsel. Wichtige Mandatsträger wollen sich aus Altersgründen nicht mehr zur Wahl stellen. Wie beurteilen Sie die Lage?
Diese Kreisräte zählen zu den Meinungsführern in der Kreispolitik. Sie haben über Jahrzehnte Entscheidungen des Gremiums geprägt. Mit ihrem Abschied geht Kompetenz verloren.
Welche Folgen kann der Generationswechsel haben?
Wir hatten bisher stabile politische Konstellationen im Kreistag. Das könnte sich ändern. Vor allem, wenn Frust aus der Europawahl auf die Kommunalwahlen abfärbt. Neue populistische Kräfte könnten in den Kreistag einziehen. In einem stärker politisch dominierten Gremium könnte die sogenannte Bürgermeisterfraktion an Gewicht verlieren.
Was ist in einem neuen Kreistag
wichtig?
Wir brauchen nicht nur politische Arbeit und Verwaltungsarbeit, wir brauchen auch menschliche Beziehungen. Der Landrat wird die Aufgabe haben, eine Vertrauensbasis herzustellen und Netzwerke zu knüpfen, die Basis guter Entscheidungen sind.
Freuen Sie sich auf diese Herausforderung?
Natürlich, ich bin bis November 2021 gewählt.