Sebastian Thomas

Gerda Baumann ist 60 Jahre alt. Sie arbeitet im Bereich Hauswirtschaft in einer Behindertenwerkstatt. Sie verrichtet leichte Tätigkeiten: Die 60-Jährige reinigt nach dem Frühstück den Speisesaal, spült Geschirr und wäscht schmutzige Kleidung. Während ihrer Arbeit kümmern sich Betreuer um sie. Doch das Ende der Alltagsgestaltung ist abzusehen: Gerda Baumann hat in fünf Jahren das Renteneintrittsalter erreicht. Durch ihren Schwerbehindertenausweis kann sie schon zwei Jahre früher in den wohlverdienten Ruhestand. Aber wie geht es weiter? Das Problem: Wer kümmert sich um Menschen, die wegen geistiger, körperlicher oder seelischer Behinderung nur eingeschränkt belastbar sind, die im Alltag Unterstützung und Betreuung benötigen, eben auch, wenn sie in Rente gehen? Durch die Arbeit in der Werkstatt hat Gerda Baumanns Tag Struktur. Was passiert, wenn das nun wegfällt?

Diese Frage haben sich das Sozialdezernat des Landkreises Konstanz und die beiden Caritas-Verbände Konstanz und Singen-Hegau gestellt. Anfang 2017 stellten sie das Projekt "Ruhestandslotse" vor. Die Idee dahinter ist einfach: Auch im Rentenalter soll behinderten Menschen mit geistiger, körperlicher oder seelischer Einschränkung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Doch es fehlt an ambulanten Angeboten. An dieser Stelle kommt der Ruhestandslotse ins Spiel: Der ehrenamtliche Helfer könnte sich zu bestimmten Zeiten um den behinderten Menschen kümmern. Fast ein Jahr nach der Vorstellung der Idee zieht Sozialplanerin Susanne Mende zusammen mit Caritas-Sozialarbeiterin Birgit Wetzl und Projektleiter Ludwig Fiebiger eine Bilanz.

"Behinderte, die an diesem Projekt teilnehmen, haben im September Seminare absolviert", sagt Susanne Mende. Darüber hinaus habe die Caritas Gespräche mit den Angehörigen geführt und Kontakte zu den Regeleinrichtungen geknüpft, so Mende. "Im Vorfeld haben wir Module entworfen. In den Seminaren geht es unter anderem um den Lebenslauf des Behinderten, seine Stärken, Interessen und seine Arbeit", erklärt Birgit Wetzl. Am Ende sollen durch die Module wichtige Fragen beantwortet werden: Wie sieht der Tag des Behinderten mit und ohne Arbeit aus? Was kann er weitermachen? Wer unterstützt ihn dabei? Die daraus gewonnen Erkenntnisse fließen in die weitere Zukunftsplanung des behinderten Menschen ein. Die konkrete Planung beginnt drei Monate vor seinem Renteneintritt.

Die Nachfrage nach einem Ruhestandslotsen ist da: Allein in Singener Einrichtungen gehen in den nächsten drei bis fünf Jahren 15 bis 18 Personen in Rente, die derzeit im betreuten Bereich arbeiten. Schätzungen zufolge könnten in den nächsten 15 Jahren kreisweit 241 Frauen und Männer mit Behinderung aus dem behüteten Arbeitsleben ausscheiden. "In der Werkstatt in Radolfzell haben wir acht, in der Zweigstelle in Konstanz sieben Behinderte, die bald das Rentenalter erreichen", sagt Birgit Wetzl. "In der nächsten Phase wollen wir Helfer und Ehrenamtliche gewinnen. Bevor sie dann Ruhestandslotsen werden, wollen wir sie auf ihre Aufgabe vorbereiten", erklärt Susanne Mende. Konkret sieht das so aus: Gerda Baumann geht schwimmen und braucht dafür eine Begleitung. "Die Chemie muss einfach stimmen. Gleiche Hobbys wären der Idealfall", sagt Mende. Der Ruhestandslotse könne sich aber auch mit eigenen Interessen einbringen.

"Damit wir möglichst viele Helfer gewinnen, wollen wir ein Netzwerk aufbauen", sagt Fiebiger. Er arbeitet bei der Caritas mit dem Fachbereich Familienunterstützender Dienst (FuD) zusammen. Der FuD betreut Jugendliche und Kinder mit Behinderung. Allein über diesen Dienst lassen sich aber nicht genügend Ehrenamtliche für die Tätigkeit als Ruhestandslotsen finden. "Deshalb tauschen wir uns mit dem Netzwerk Bürgerengagement und Ehrenamt in Konstanz aus", sagt Fiebiger. Bei dem Netzwerk stehe bisher Ehrenamt auf Vereinsebene im Mittelpunkt: "Durch die Zusammenarbeit wollen wir den Fokus in Richtung ehrenamtliche Betreuung von Menschen mit Behinderung richten."

 

Lotsen gesucht

Interessierte können sich ab sofort als Ruhestandslotsen bewerben. Die Caritas nimmt Anfragen gern entgegen. Für Konstanzer lautet die Telefonnummer (0 75 31) 36 26 35. Für Interessierte aus Singen und dem Hegau ist die Telefonnummer (0 77 31) 96 97 01 35. (set)

 

 

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