Zu „Cannabis als Medizin“ ist im März 2017 in Deutschland ein Gesetz in Kraft getreten. Die Inhaltsstoffe der Hanfpflanze dürfen nun medizinisch eingesetzt werden. Sie spielen zum Beispiel in der Schmerztherapie eine immer größere Rolle.
Wer sich Cannabis verschreiben lassen will, stößt allerdings auf große Hürden. Christian Hirschfeld ist Cannabis-Berater im Landkreis Konstanz und berichtet über seine eigene Geschichte und darüber, wie er Betroffenen hilft.
Hilfe bei chronischen Schmerzen
Hirschfeld besucht Monika P. in ihrem häuslichen Umfeld. Die beiden kennen sich mittlerweile gut. Er begleitet sie schon eine ganze Weile.
Sie erzählt: „Ich bin Frührentnerin, leide unter chronischen Schmerzen, vertrage die meisten Tabletten aufgrund einer inneren Erkrankung nicht. Mithilfe von Cannabis kann ich meine Schmerzen zumindest so weit eindämmen, dass ich wieder etwas laufen und meinen Radius erweitern kann. Die Beratung von Christian Hirschfeld ist ein Segen und mit ihm kämpfe ich nun gemeinsam für eine legale Cannabis-Verordnung auf Rezept.“
Vermittler zwischen Patient und Arzt
Als „Sachverständiger für die Cannabis-Medikation“ berät Hirschfeld Hilfesuchende kostenlos, meistens per Telefon, aber auch zuhause. Die meisten Fragen werden ihm zur Antragstellung, den passenden Cannabis-Produkten und über die Dosierung und Anwendung gestellt.
Manchmal fungiert er auch als Vermittler zwischen Patient und Arzt. Er sieht sich in vielen Fällen als Türöffner, damit Kranke neben Cannabis auch sämtliche Maßnahmen nutzen, die das Leben erleichtern, wie bewusste Ernährung, Sport, Krankengymnastik, und – soweit möglich – Bewegung in der Natur.
Nur wenige Ärzte kennen sich aus
Auch wenn es viele Selbsthilfegruppen und Foren gibt, besteht bezüglich der Cannabis-Therapie nach wie vor ein Informationsdefizit. Im vergangenen Jahr hat Christian Hirschfeld deutschlandweit gut 1500 Gespräche mit Patienten geführt. Der Einsatz von Cannabis könne bei vielen Krankheiten helfen, gerade dann, wenn Patienten gängige Schmerzmittel nicht mehr vertragen oder es zu gravierenden Nebenwirkungen kommt, erklärt er: „Das belegen eine Vielzahl von Studien“.
Trotzdem sei es schwierig, Cannabis auf Rezept zu bekommen. „Erstens gibt es bisher nur wenige Ärzte, die sich damit auskennen und an das Thema heranwagen, zweitens bedarf es oftmals eines langen Kampfes, diese Therapie bei den Krankenkassen durchzuboxen“, so Hirschfeld.
Techniker Krankenkasse: Rund zwei Drittel der Anträge werden genehmigt
Nicole Battenfeld, Pressereferentin der Techniker Krankenkasse, nennt Zahlen: „Nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung im März 2017 sind bei uns bis zum 31. Dezember 2017 rund 2600 Anträge zur Genehmigung cannabishaltiger Arzneimittel eingegangen. Rund 63 Prozent der entschiedenen Anträge wurden genehmigt. 2018 waren es etwa 2200 Anträge, wobei etwa 67 Prozent der entschiedenen Anträge genehmigt wurden.
Wir haben hier also einen leichten Rückgang bei den Anträgen sowie einen leichten Anstieg bei der Genehmigungsquote gesehen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass durch die gesammelten Erfahrungen und auch durch die mediale Präsenz des Themas die Voraussetzungen für die Verordnung von Cannabis nach den gesetzlichen Grundlagen inzwischen allen Beteiligten bekannter sind.“ Aktuelle Zahlen für das Jahr 2019 zeigen laut Techniker Krankenkasse den Trend auf, dass sie auf ähnlichem Niveau wie in 2018 liegen werden.
Bereitschaft bei Ärzten bisher gering
Dr. Franjo Grotenhermen ist Arzt, Autor und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM). Er macht sich für die Verbesserung der Situation von Cannabis-Patienten stark und kämpft für die Entkriminalisierung aller, die Cannabis zur Behandlung schwerer Erkrankungen benötigen.
Er gibt zu bedenken: „In allen Ländern, in denen die Verschreibung von Cannabispräparaten legalisiert wurde, so wie beispielsweise Israel, Niederlande oder Kanada, war es zunächst immer nur ein kleiner Teil der Ärzte, der dem Thema offen gegenüberstanden. Wenn also beklagt wird, dass nur eine geringe Zahl der Ärzte in Deutschland Cannabis verschreiben, so sollte man wissen, dass Deutschland damit keine Ausnahme darstellt. Wir können nur für die kommenden Jahren hoffen, dass die Bereitschaft bei den Ärzten deutlich steigt.“
Cannabis als Medikament
Christian Hirschfeld (47) kam durch seine eigene Krankengeschichte zum Cannabis-Konsum und zu seiner Tätigkeit als Berater.
- Diagnose: Mit Anfang 30 war Betriebswirt Hirschfeld in der Pharmabranche tätig. Plötzlich hatte er mit Arthrose, Gelenkproblemen, Lähmungserscheinungen und chronischen Schmerzen zu kämpfen. Schließlich bekam er die Diagnose: MS, Multiple Sklerose, eine Autoimmunerkrankung, die mit einer chronisch-entzündlich neurologischen Erkrankung einhergeht, bei der das Zentralnervensystem angegriffen wird. MS ist unheilbar. „Ich war gerade einmal 34 Jahre alt, glücklich verheiratet, hatte zwei kleine Kinder, stand mitten im Berufsleben“, erzählt Hirschfeld. „Nach anfänglichem Schock, wollte ich mich der Krankheit nicht hingeben, begann zu kämpfen, habe mich belesen, recherchiert.“
- Vom Patienten zum Berater: Hirschfeld stieß bei seinen Recherchen auf Cannabis als Medikament, verfolgte das Thema intensiv, tauschte sich mit Neurologen aus. Seine Krankheit schritt voran, er begann mit der Einnahme von Cannabis. „Erst als ich merkte, dass mein Glück nicht nur von der Pharmaindustrie abhing, begann ich wieder zu leben.“ Eine Zeit lang war er Frührentner. Im Konstanzer Apotheker Daniel Hölzle, dessen Frau ebenfalls an MS erkrankt ist, fand er einen neuen Arbeitgeber, gründete mit ihm eine Versandapotheke für medizinisches Cannabis und arbeitete von zu Hause aus als Sachverständiger für die Cannabis-Medikation. Er setzt sich mit dem Thema differenziert auseinander und sagt: „Selbstverständlich ist Cannabis kein Wundermittel und mit Sicherheit auch nicht für jeden Patienten geeignet. Und doch kann es bei vielen Krankheiten eine sinnvolle und wirksame Therapieoption sein“
- Einsatzmöglichkeiten: Cannabis – richtig dosiert – wirkt laut Hirschfeld gegen Schmerzen, die im Nervensystem entstehen: Vor allem spastische und neuropathische Schmerzen, die nach Verletzungen oder Entzündungen auftreten, ließen sich dadurch lindern. Auch bei Epilepsie, MS, chronischen Schmerzen, Tourette-Syndrom, ADHS, Krämpfen, Angst sowie Phantomschmerzen nach Amputationen könne es eingesetzt werden. Cannabis-Präparate haben ein geringeres Abhängigkeitspotenzial als Opiate, wie zum Beispiel Morphium. Es gibt sie in Form von Kapseln, Tropfen, Öl, als Cannabisblüten und Mundspray. Noch ist Cannabis sehr teuer, und außerdem gibt es immer wieder Lieferschwierigkeiten.
- Nebenwirkungen: Wie bei anderen Medikamenten besteht auch bei Cannabis die Gefahr des Missbrauchs. Überdosiert kann es Nebenwirkungen verursachen, beispielsweise Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis. Cannabis kann Angstzustände sowohl reduzieren wie auch auslösen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind unter anderem Heißhungerattacken, Schwindel und niedriger Blutdruck. Bei einigen psychischen Erkrankungen, Herzerkrankungen, sowie für Jugendliche und Schwangere müssen vor dem Einsatz von Cannabis therapeutische Wirkungen und mögliche Schäden sorgfältig abgewogen werden.