Konstanz – Andreas Jung kommt gerade aus Berlin, den ersten Flieger nach Zürich hat er an diesem Morgen genommen, ist von dort aus in seinen Wahlkreis Konstanz gefahren. Nach der Bundestagswahl ist der Terminplan voll. Hier eine Sitzung, dort ein Hintergrundgespräch. Die Karten werden neu gemischt und Aufgabe des CDU-Abgeordneten ist es, den Interessen Baden-Württembergs auch in der Hauptstadt so viel Gehör wie möglich zu verschaffen. Erst einen Tag zuvor wurde Jung in seinem Amt als Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg im Bundestag wiedergewählt. Eine mächtige Position. „Das ist eine sehr herausgehobene Funktion“, sagt er. So herausgehoben, dass Jung dafür ein anderes Amt aufgeben wird: Am Abend teilte er seinen Parteifreunden in einer Sitzung in Königsfeld (Schwarzwald-Baar-Kreis) mit, dass er auf dem Parteitag Ende Oktober nicht wieder als Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Südbaden zur Verfügung stehen wird. Sechs Jahre lang hatte er die Position inne. Der Verband ist einer von vier Bezirksverbänden der CDU in Baden-Württemberg. Die Bezirksverbände und ihre ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden haben in der Südwest-CDU traditionell ein starkes Gewicht. Der Bezirksverband Südbaden hat knapp 16.500 Mitglieder.
„Ich habe mich entschieden, nicht wieder anzutreten“, sagt Andreas Jung. „Aber das hat in keiner Weise politische Gründe.“ Im Gegenteil: Er fühle sich durch das gute Erststimmen-Ergebnis der Bundestagswahl, das deutlich über dem Zweitstimmen-Ergebnis seiner Partei lag, bestätigt und gestärkt. Doch er habe in den vergangenen zwei Jahren Aufgaben übernommen, die ihn voll forderten: die Führung der Landesgruppe – und die eigene Familie. Jung ist verheiratet, seine beiden Kinder sind vier Monate und nicht ganz zwei Jahre alt. „Ich will, dass meine Kinder ihren Papa nicht nur aus dem SÜDKURIER kennen, sondern ab und zu auch sehen“, sagt Andreas Jung. Seine Frau, eine Hörfunkjournalistin, wird nach der Elternzeit wieder in ihren Beruf einsteigen. „Und es muss ja auch nicht einer alles alleine machen und politische Ämter anhäufen“, erklärt der CDU-Abgeordnete, der mit seiner Familie auf der Reichenau (Kreis Konstanz) lebt.
Der 42-jährige Jung hat den Vorsitz der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg im Juli 2016 übernommen, nachdem sein Vorgänger Thomas Strobl als Innenminister in die Landesregierung von Stuttgart gewechselt war. Jung setzte sich damals in einer Kampfabstimmung gegen Thomas Bareiß (Zollernalb-Sigmaringen) durch – den Vorsitzenden des Bezirksverbandes Württemberg-Hohenzollern. Bareiß steht für einen konservativen Kurs in der CDU, Jung eher für eine soziale, moderne CDU. Am Dienstag wurde Jung ohne Gegenstimmen in seinem Amt bestätigt. Die Landesgruppe besteht aus 38 Abgeordneten. Nur die CDU-Landesgruppe aus Nordrhein-Westfalen mit 42 Mitgliedern ist größer. Die bayerische CSU in dieser Legislaturperiode kommt auf 46 Abgeordnete. Die Landesgruppen sind unter anderem wesentlicher Ort für die Meinungsbildung innerhalb der Partei und für Weichestellungen in der Fraktion. „Sie hat maßgeblichen politischen Einfluss auf das, was in Berlin passiert“, sagt Andreas Jung. „Der Einfluss unserer Region auf die Politik wird also nicht kleiner, sondern sogar größer.“ Jung sieht seine Rolle in der Vertretung der Interessen seines Heimatwahlkreises, aber auch Baden-Württembergs. Sollte es zu Gesprächen über eine schwarz-grün-gelben Jamaika-Koalition kommen, sieht er sich als Landesgruppenchef in den Prozess eingebunden. „Diese Aufgabe ist interessant, aber auch zeitaufwendig“, sagt Jung. Der CDU-Mann gilt seit jeher als Anhänger von Schwarz-Grün und hält auch eine Jamaika-Koalition für machbar – wenn auch mit größeren Schwierigkeiten verbunden. „Dass es nicht einfach wird, liegt auf der Hand – aber was wäre die Alternative?“
Wer auf den 42-Jährigen als Chef des CDU-Bezirks Südbaden folgen wird, soll der Parteitag am 28. Oktober in Höchenschwand im Kreis Waldshut klären. Jung konnte sich im Jahr 2011 gegen Volker Schebesta (Offenburg) durchsetzen. Einer von Jungs Stellvertretern ist derzeit der Europaabgeordnete und Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes Schwarzwald-Baar, Andreas Schwab. Ob er als Nachfolger infrage kommt, ist unwahrscheinlich, sein Dienstort Brüssel spricht dagegen. Heiße Anwärter könnten hingegen Felix Schreiner (Waldshut) und Thorsten Frei (Schwarzwald-Baar) sein.
Die CDU im Land
Auch wenn Baden-Württemberg von einem grünen Ministerpräsidenten regiert wird, bleibt das Land der CDU eng verbunden. Bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag hat die Partei alle 38 Direktmandate geholt – wenn auch mit deutlich schlechteren Ergebnissen als vor vier Jahren. Mit derzeit rund 64 000 Mitgliedern ist der baden-württembergische CDU-Verband der zweitgrößte nach dem Verband in Nordrhein-Westfalen. Prominente CDU-Politiker wie Unionsfraktionschef Volker Kauder kommen aus dem Südwesten. In Berlin sind die Abgeordneten aus dem Südwesten in einer Landesgruppe zusammengeschlossen. Ihr steht seit 2016 Andreas Jung vor.