Herr Plöger, Sie haben so ungefähr die Hälfte Ihres Lebens in den Alpen zugebracht. Ihr Vortrag in Konstanz ist also ein Heimspiel...
Ja, durchaus. Zumindest sieht man vom Bodensee aus die Alpen schon ganz gut.
Das heißt, dass bei Ihrem Vortrag im Konstanzer Konzil mit einigem Lokalkolorit zu rechnen ist?
Mit den Alpen verbinden mich viele persönliche Erlebnisse, und das fließt in meinen Vortrag ein. Trotz des ernsthaften Hintergrunds soll der Abend auf jeden Fall auch unterhaltsam werden.
Geben Sie mal einen kleinen Appetithappen für diesen Part des Vortags.
Allein der Umstand, dass ich aus der Bonner Gegend komme, ist schon eine Geschichte wert. Das Höchste, was das dortige Siebengebirge zu bieten hat, ist der Petersberg mit 460 Metern – da kann man sich leicht vorstellen, was die Alpen auf mich für einen Eindruck machen. Und was das Wetter anbelangt, haben die Alpen eben auch einiges mehr zu bieten. Das Phänomen des Laseyer-Winds im Appenzeller Land zum Beispiel, der unter Umständen einen ganzen Zug zum Kippen bringen kann. Überhaupt die Winde. Mir war früh klar, dass ich als Meteorologe in die Luft gehen muss. Beim Gleitschirmfliegen in 4000 Metern Höhe bekommt man einen sehr direkten Bezug zu Wind und Wetter.
Zurück zum Ernst. Sie bewegen sich als studierter Meteorologe in der allgemeinen Wahrnehmung zwischen Wetter- und Klima-Experte. Lässt sich der Unterschied in aller Kürze beschreiben?
Einfach ausgedrückt geht es beim Wetter um das tägliche mit unseren Sinnesorganen fühlbare Geschehen. Das Klima hingegen ist die Statistik des Wetters – man mittelt dabei über mindestens 30 Jahre und kann dadurch langfristige Trends erkennen.
Was heißt das für den Alltag? Wenn man zum Beispiel das sogenannte Jahrhunderthochwasser des Bodensees im Jahr 1999 nimmt: War das jetzt Wetter oder Klima?
Beides – jedenfalls im Prinzip. Wetterextreme gab es immer, inzwischen allerdings gibt es die Möglichkeit der ursächlichen Zuordnung. Dabei handelt es sich um mathematische Modelle, bei denen Einflüsse des Klimawandels als Wahrscheinlichkeit für Wetterextreme berechnet werden können. Wenn dann zum Beispiel die Rede davon ist, dass die Wahrscheinlichkeit des Klimawandel-Einflusses bei einem bestimmten Ereignis um den Faktor 1,2 bis neun gestiegen ist, dann klingt das vielleicht nach wenig, aber es bedeutet einen Klimaeinfluss von mindestens 20 Prozent. Da Wetter und Klima ja verbunden sind, ist es nur logisch, dass der Klimawandel in jedem Wetter steckt.
In diesem Jahr war der niedrige Wasserstand das Top-Thema für die Menschen am See. Muss in der Region in Zukunft mehr mit Niedrig- anstelle von Hochwassern gerechnet werden?
Nein, das lässt sich aus meiner Sicht so nicht sagen. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich Extreme in beide Richtungen entwickeln können. Das Ahrtal ist ein trauriges Beispiel dafür, und wenn sich ein Tief über längere Zeit festsetzt, dann kann dadurch der Wasserstand des Bodensees extrem ansteigen. Ein anderer Faktor ist die Gletscherschmelze – sie war noch nie so umfassend wie in diesem Jahr. Das hat beim Wasserstand des Bodensees für einen gewissen Ausgleich zur geringfügigen Regenmenge geführt.

Wann sind die Gletscher abgeschmolzen?
Wenn man von einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur um zwei Grad ausgeht, dann ist es gegen Ende des Jahrhunderts soweit. Die Bedeutung für den Wasserstand ergibt sich allein daraus, dass beispielsweise das Rheinwasser im Sommer zu etwa 60 Prozent aus Gletscherwasser, aber natürlich auch Regenfällen in den Alpen stammt.
Eine der Folgen des Niedrigwassers und der Hitze war in diesem Sommer der Algenwuchs. Stinkende grüne Grütze statt blauer Bodensee – ist das die Zukunft?
Das würde ich nie so sagen. Aber dass sich optisch durch so ein Extrem etwas ändert, sieht jeder. Wie sich das olfaktorisch auswirkt, kann ich dagegen nicht beurteilen. Das gilt auch für Insekten oder etwa Fische. Was diesen Bereich anbelangt, sind die Biologen gefragt.
Mal eine generelle Frage: Der Klimawandel und seine Folgen sind spätestens seit den 1980er Jahren bekannt, aber geschehen ist nichts. Was bringt da eigentlich der Menschheit die Wissenschaft, wenn die Erkenntnisse am Ende nicht genutzt werden? Ist das Ganze nicht ein grandioses Versagen von Wissenschaftlern, weil sie gesellschaftspolitisch immer zu spät kommen?
Es ist kein Versagen von Wissenschaftlern. Die Wissenschaft ist für die Gesellschaft eigentlich „zu früh“ gekommen – den Klimawandel und Folgen davon hat beispielsweise Hermann Flohn schon 1941 in seiner Habilitationsarbeit beschrieben. Was allerdings stimmt, ist der träge verlaufende Transfer von Erkenntnis in Handeln. Inzwischen gehören der Klimawandel und seine Folgen immerhin weitgehend zum Allgemeinwissen. Das Problem ist die mangelnde Bereitschaft zur Veränderung von Gewohnheiten – zumal wenn damit die Angst vor dem Verlust von Wohlstand einher geht. Das hat durchaus etwas Absurdes, weil jeder weiß, dass zum Beispiel keine Volkswirtschaft der Welt die Kosten von immer häufigeren Katastrophen wie derzeit in Pakistan auffangen kann...
...aber müssten sich genau deswegen die Wissenschaftler nicht mehr einmischen?
Doch, das denke ich durchaus. Die Wissenschaftler sollten den Mut aufbringen, sich gesellschaftlich stärker zu Wort zu melden. Jeder muss da im Rahmen seiner Möglichkeiten aktiv werden. Ich zum Beispiel kann in meinen Vorträgen Dinge sagen, die frei von Ideologie sind. Ein Politiker ist da nicht so frei.
Aber reicht das zur Überwindung der gesellschaftlichen Trägheit?
Angesichts des Zauderns in der Politik denke ich mir manchmal, dass die Menschheit eher einen Psychologen braucht – und das wir natürlich weltweite Vereinbarungen benötigen. Auf jeden Fall müssen wir dringend vom Reden ins Handeln kommen.
Herr Plöger, vielen Dank für das Gespräch.