Aus Industrie wird Schule: Der Trägerverein der Konstanzer Waldorfschule hat große Neubaupläne auf dem Gelände des ehemaligen Baubeschlag-Großhandels Ernst Straub in der Fritz-Arnold-Straße. Zu diesem Zweck kaufte der Verein im vergangenen Sommer das Areal für einen Betrag zwischen drei und vier Millionen Euro. Genauere Angaben wollen die Verantwortlichen nicht machen.

Somit nutzt die Konstanzer Waldorfschule schon zum zweiten Mal in ihrer recht jungen Geschichte ehemalige Firmengebäude für ihre Zwecke um. Denn schräg gegenüber, in der Robert-Bosch-Straße, liegt der bisherige Sitz der Schule, der für die wachsende Gemeinschaft nicht mehr ausreicht. Diese Häuser dienten einst einem homöopathischen Versandhandel.

Die aktuellen Gebäude der Freien Waldorfschule Konstanz in der Robert-Bosch-Straße wurden zu klein, der Trägerverein musste neue Räume ...
Die aktuellen Gebäude der Freien Waldorfschule Konstanz in der Robert-Bosch-Straße wurden zu klein, der Trägerverein musste neue Räume finden. | Bild: Hanser, Oliver
Die ehemalige Postverteilerhalle der Firma Ernst Straub dient nun als Werkstattgebäude. Später soll es abgerissen und durch ein neues ...
Die ehemalige Postverteilerhalle der Firma Ernst Straub dient nun als Werkstattgebäude. Später soll es abgerissen und durch ein neues Spielehaus ersetzt werden. Im Hintergrund (blauer Streifen um die Fenster) ist das Oberstufenhaus zu sehen. | Bild: Hanser, Oliver

Der Trägerverein war schon lange auf der Suche nach einem geeigneten Gelände für die Erweiterung und hatte mehrere Optionen, die sich aus unterschiedlichen Gründen zerschlugen. Im Gespräch waren unter anderem Gebäude in der direkten Nachbarschaft der jetzigen Schule – aber auch am Wollmatinger Ortsausgang, wo ehemals eine Tankstelle lag.

Und auch der geplante Stadtteil Hafner hätte zur neuen Heimat der Schule werden können. „Doch da wären wir erst im zweiten Bauabschnitt ab 2032 eingeplant gewesen, das hätte uns zeitlich nicht gereicht“, sagt Kerstin Wagner vom Vorstand des Trägervereins.

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„Das würde aussehen wie ein Gefängnis“

So suchten die Verantwortlichen parallel eine Übergangslösung und wurden sich mit der über 70-jährigen Besitzerin des Straub-Geländes einig. Hier stehen rund 6000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. „Eigentlich sagt man, dass eine Waldorfschule mindestens 10.000 Quadratmeter benötigt“, sagt Jürgen Staud, Architekt und Mitglied des Baugremiums der Waldorfschule.

„Wir könnten hier sogar die ganze Schule unterbringen und brauchen den Hafner wahrscheinlich gar nicht mehr“, sagt Jürgen Staud.
„Wir könnten hier sogar die ganze Schule unterbringen und brauchen den Hafner wahrscheinlich gar nicht mehr“, sagt Jürgen Staud. | Bild: Oliver Hanser

Er fügt hinzu: „Wir könnten hier zwar rundum viergeschossig bauen, aber das würde aussehen wie ein Gefängnis. Also führten wir eine intensive Diskussion ums Raumprogramm und darüber, was wir wirklich brauchen.“

Das Baugremium der Schule entschied sich dafür, das Programm abzuspecken. „Bei genaueren Prüfungen wurde uns klar, dass wir hier sogar die ganze Schule unterbringen könnten und den Hafner mit dem rund 8500 Quadratmeter großen Grundstück wahrscheinlich gar nicht mehr benötigen“, sagt Staud.

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Architekturbüro aus Berlin überzeugte

Damit ging aber auch eine Grundsatzentscheidung einher: Die Schule beschloss, auch künftig einzügig zu bleiben, weil der Platz nicht für mehr als eine Klasse pro Jahrgang reicht. Dabei sei die Schule sehr beliebt, bis auf die Gründungsjahrgänge seien alle Klassen voll belegt und es gebe eine Warteliste, sagt Kerstin Wagner.

Nun könnte sich alles perfekt fügen: Der Plan ist, dass auf dem ehemaligen Straub-Gelände nach und nach die alten Gebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. „So machen wir uns fit für die kommenden rund 30 Jahre“, sagt Kerstin Wagner.

Diese alte Lagerhalle mit Büros wird als erstes abgerissen. An ihre Stelle tritt ein Klassenhaus mit Energie- und Technikzentrale.
Diese alte Lagerhalle mit Büros wird als erstes abgerissen. An ihre Stelle tritt ein Klassenhaus mit Energie- und Technikzentrale. | Bild: Hanser, Oliver

Wenn alles gut läuft, geht der erste Neubau 2026/27 oder im darauffolgenden Schuljahr in Betrieb. Dann kann der Mietvertrag für den jetzigen Standort aufgelöst werden. Der zweite Neubau soll erst zehn bis zwölf Jahre später folgen, je nach Finanzierbarkeit.

Bei der Suche nach einem passenden Architekturbüro ging die Waldorfschule ungewöhnliche Wege. Die Schule setzte auf Empfehlungen hin 20 Büros auf eine Liste und verschickte 20 Päckchen an diese Adressen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

„Mit diesem Masterplan machen wir die Waldorfschule fit für die kommenden rund 30 Jahre“, sagt Kerstin Wagner.
„Mit diesem Masterplan machen wir die Waldorfschule fit für die kommenden rund 30 Jahre“, sagt Kerstin Wagner. | Bild: Hanser, Oliver

Darin wurden Gegenstände gepackt, die für die Waldorfpädagogik stehen und für den Standort wichtig sind, darunter Schiefertafeln, Bienenwaben, Schilf, einen Findling, ein selbstgenähtes Stoffsäckchen mit einem Stück Schwemmholz, ein Stück Kalksandstein – verbunden mit der Aufforderung, sich auf den Auftrag zu bewerben.

11 ganz unterschiedliche Bewerbungen gingen laut Kerstin Wagner ein, vom Tonquader über einen Comic bis zum Brief. Fünf Büros wurden zum Gespräch gebeten und zwei zu einem je eintägigen Workshop mit Teilnehmern aus der Schulgemeinschaft eingeladen.

Die Waldorfschule schickte an ausgewählte Architekten ein Paket mit Bienenwaben, Schilf, Kalksandstein und weiteren Dingen, die der ...
Die Waldorfschule schickte an ausgewählte Architekten ein Paket mit Bienenwaben, Schilf, Kalksandstein und weiteren Dingen, die der Schulgemeinschaft wichtig sind und die zum Standort des Neubaus passen. | Bild: Kerstin Wagner

Das Architekturbüro Mono aus Berlin überzeugte dabei am meisten. Einer ihrer Mitarbeiter ist ein ehemaliger Überlinger Waldorfschüler, der gerade zurück an den Bodensee zog. „Das ist für beide Seiten perfekt“, findet Kerstin Wagner.

Erst in 40 Metern Tiefe ist fester Grund

Nach vielen Gesprächen und Planungsrunden haben die Architekten eine passende Lösung entwickelt, die aus drei Hauptgebäuden plus einem kleineren Haus für den Hort besteht. Gebaut wird das erste Haus, in dem Klassenzimmer unterkommen, wahrscheinlich aus Holz, eventuell auch mit Lehm.

Diese recht leichte Bauweise würde die Gründung des Gebäudes erleichtern, weil der Untergrund – wie an so vielen Orten in Konstanz – auch hier schwierig ist. Laut Experten muss man rund 40 Meter tief bohren, um auf festen Boden zu stoßen.

Modell der künftigen Neubauten der Konstanzer Waldorfschule: Oben im Bild wäre die Fritz-Arnold-Straße. Links oben befindet sich das ...
Modell der künftigen Neubauten der Konstanzer Waldorfschule: Oben im Bild wäre die Fritz-Arnold-Straße. Links oben befindet sich das Klassenhaus, verbunden mit dem Werkhaus (oben Mitte), das wiederum mit dem Spielehaus (rechts im Bild) verbunden ist. Das Fünfeck vorn wird das Hortgebäude. | Bild: Mono Architekten Berlin

Bis wirklich die Bagger anrücken, braucht es eine Übergangslösung. Die fand sich gerade rechtzeitig: Am 1. Januar 2021 beendete die Firma Ernst Straub ihren Geschäftsbetrieb, seit 1. August 2021 ist der Trägerverein der Waldorfschule neue Besitzerin des Geländes und schon im September zogen die beiden ersten Klassen dort ein. Eltern und externe Handwerker haben bereits ein ehemaliges Bürogebäude in ein Oberstufenhaus mit Klassenzimmern verwandelt.

Im Oberstufenhaus der Waldorfschule haben die Eltern gemütliche Klassenzimmer für den Übergang eingerichtet.
Im Oberstufenhaus der Waldorfschule haben die Eltern gemütliche Klassenzimmer für den Übergang eingerichtet. | Bild: Hanser, Oliver

Außerdem wurde aus einer ehemaligen Postverteilerhalle durch viel Eigenarbeit nun ein Werkstattgebäude für die Waldorfschule. Genau dieser praktische Anteil im Schulalltag mit Gartenbau, Arbeiten mit Ton und anderen Materialien gefällt dem 15-jährigen Tim Boscher besonders gut. Er besuchte vorher eine staatliche Schule und geht seit diesem Schuljahr in die 9. Klasse der Waldorfschule.

„Hier kann ich viel mit meinen Händen gestalten und praktisch arbeiten“, sagt Tim. „Außerdem behandeln wir ein Thema meist drei bis vier Wochen am Stück. So ist der Unterricht viel intensiver. Dadurch komme ich im Hauptunterricht besser mit als an meiner ehemaligen Schule.“

„Hier kann ich viel mit meinen Händen gestalten und praktisch arbeiten“, sagt Tim Boscher.
„Hier kann ich viel mit meinen Händen gestalten und praktisch arbeiten“, sagt Tim Boscher. | Bild: Hanser, Oliver

Auch die 14-jährige Lara Capitanio wechselte nach zweieinhalb Jahren an einer staatlichen Grundschule zur Waldorfschule. „Ich hatte schon in der dritten Klasse drei bis vier Stunden Hausaufgaben am Tag, es gab auch eine sehr strenge Benotung. Nach dem Wechsel ging es mir besser. Hier fühlen wir uns mit den Lehrern eher auf Augenhöhe“, sagt Lara, während sie einen Koalabären aus Ton modelliert.

Bis an der Stelle des Werkstattgebäudes am Ende ein Spielehaus mit Halle, Bühne und Mensa steht, gehen noch viele Jahre ins Land. „Jetzt steht erstmal die konkrete Planung für das Klassenzimmergebäude mit Energie- und Technikzentrale für den gesamten Campus an“, sagt Kerstin Wagner. Sie hofft, dass der Aushub 2024 oder 2025 beginnen kann.