Irgendwie, irgendwann, irgendwo tauchte die magische Zahl 1321 auf: In jenem Jahr sei der Pulverturm errichtet worden.

Niederburg-Präsident Mario Böhler – die Narrengesellschaft ist Nutzer des historischen Wehrturms – stutzte und freute sich, dass endlich einmal wieder ein Jubiläum gefeiert werden konnte. Wohlwissend, dass das Erbauungsjahr 1321 nicht in Stein gemeißelt, sondern lediglich mit Farbe gemalt auf dem Mauerwerk prangt.

Der Verein gab zum scheinbaren Jubiläum eine Broschüre heraus, an der zahlreiche Autoren mitwirkten. Co-Autor Daniel Groß, seines Zeichens Historiker, bemerkte schon zu Beginn des Projekts, dass er für das Erbauungsdatum seine Hand nicht ins Feuer legen würde.
„Es gab noch keine dendrochronologische Untersuchung (Anmerkung der Redaktion: Bestimmung des Holzalters)“, stellte er fest und mutmaßte: „Wahrscheinlich wurde er mit der Stadtmauer gebaut.“
Im Zuge der Recherchen wurden die Beteiligten auf weitere Ungereimtheiten aufmerksam. Stadtarchivar Jürgen Klöckler wollte es genau wissen, machte sich auf die Suche nach Daten und Fakten und korrigiert jetzt unwahre Tatsachenbehauptungen, die Falschmeldungen aus der Vergangenheit.

Fast unleserlich geworden, prangt eine Inschrift, vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts angebracht, an einer Mauer des Pulverturms: „Der Ziegel- oder Judenturm später Pulverturm genannt wurde als Stiftung zur Wehr der Stadt von den Juden zu Konstanz im 13. Jahrhundert erbaut.“
Neben der Eingangstüre ist auf einer im 20. Jahrhundert angebrachten Plakette zu lesen: „Pulverturm. Der Ziegel- oder Judenturm, später Pulverturm genannt, wurde als Bastion und Eckpfeiler 1321 von jüdischen Bürgern erbaut.“
Stimmt nicht, stellt Jürgen Klöckler, Leiter des Stadtarchivs, nach eingehenden Recherchen fest: „Die Tatsachenbehauptung, der Turm sei 1321 oder gar im 13. Jahrhundert von den Juden erbaut oder finanziert worden, entbehrt jeglicher archivarischer Grundlage.“

Das Erbauungsdatum ist bis heute nicht belegt. Es sei allerdings davon auszugehen, dass der Pulverturm einige Jahrzehnte jünger sein muss. Jürgen Klöckler blickt auf den nicht weit entfernten Rheintorturm, in welchem bereits dendrochronologische Untersuchung des Gebälks erfolgt sind. Die Balken waren auf 1358/59 datiert worden, wie Daniel Groß in der jetzt erschienenen Broschüre „700 Jahre Pulverturm“ geschrieben hat.
„Das Holz wurde damals frisch geschlagen verbaut“, berichtet Jürgen Klöckler und folgert: „Wir wissen also: Der Rheintorturm ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit etwa 1360 erbaut worden.“ Um die Stadtmauer direkt an den Rhein vorzulagern, brauche es an beiden Seiten zur Befestigung Türme. Klöckler geht also davon aus, dass Pulver- und Rheintorturm mitsamt der Stadtmauer im Zusammenhang erbaut worden sind, denn „anders macht es keinen Sinn“.
Woher kommt aber diese Zahl 1321?
Auch diese Frage ließ Jürgen Klöckler keine Ruhe und er stöberte in den chronikalen und stadtgeschichtlichen Überlieferungen. Das vermeintliche Jahr der Erbauung gehe auf den Arzt und Stadtarchivar Johann Marmor zurück, so Klöckler.
„In seiner Geschichtlichen Topographie der Stadt Konstanz (1860) schreibt er, der Turm sei wahrscheinlich im Jahr 1321 mit der Mauer erbaut worden“, berichtet Jürgen Klöckler, wobei er das Wörtchen „wahrscheinlich“ deutlich betont. Jene, die später über den Pulverturm schrieben, „haben das ‚wahrscheinlich‘ großzügig gestrichen“, so Klöckler über den Ursprung dieser historischen Falschmeldung.
Auch die Behauptung, die Juden hätten den Turm finanziert oder erbaut, sei nicht belegbar, stellt Jürgen Klöckler fest und erläutert: „In der Folge der Pest wurden 300 Juden am 3. März 1349 verbrannt. Die letzten Juden wurden im September 1349 getötet, sodass die jüdische Gemeinde nicht mehr existent war.“
Daraus folgert der Stadtarchivar, dass die Finanzierung oder gar der Bau durch die Juden wenige Jahre später ausgeschlossen werden könne, denn „das wäre unlogisch“. Wer und warum aber auf die Idee kam, die Juden hätten mit dem Bau des Pulverturms originär etwas zu tun gehabt, ist noch nicht geklärt.
Stadtarchivar plädiert für Korrektur
„Wir wissen nicht, wie und auf welcher Quellengrundlage der Chronist und Reformator Gregor Mangolt im Jahr 1548 in einer Stadtchronik erstmals schrieb, dass der Turm der Sage nach von den Juden erbaut worden sei“, schildert Jürgen Klöckler und weist darauf hin, Mangolt hatte „der Sage nach“ geschrieben. Es handelte sich also um eine Mutmaßung.
Keine Mutmaßung, sondern Fakt ist: Die Schriften am Pulverturm beinhalten falsche Tatsachenbehauptungen. Jürgen Klöckler setzt nun alles daran, dass die Fehler korrigiert oder entsprechend ergänzt werden. Mit dem Hochbauamt der Stadt Konstanz und der Narrengesellschaft Niederburg will er nun gemeinsam an einer adäquaten Lösung arbeiten.