Isabell Neser kocht. Sie rudert mit den Armen, die Tränen schießen ihr in die Augen. Die Angestellte einer Metzgerei schwankt zwischen Wut, Verzweiflung und Unverständnis. „Ich wollte doch nur schnell...“ An diesem Morgen vor einer Bäckerei-Filiale im Stadtteil Petershausen wird der Halbsatz noch häufig fallen.
Neser wollte einfach nur schnell Wurst und Fleisch ausladen und beides in der Bäckerei abliefern. Nur: Sie wurde gesehen. Von Manuel Lopez, als Sachgebietsleiter des Gemeindevollzugsdiensts so etwas wie der Chef-Strafzettelverteiler von Konstanz, und seinem Kollegen Raffaele Zingariello.
„Würde Sie eigentlich 55 Euro kosten“
Beide sind heute – der Lage angepasst: mit Mundschutz – rund um die Backstube Stickel in der Friedrichstraße unterwegs, um Autofahrer auf die seit Ende April geltenden Regeln im Straßenverkehr aufmerksam zu machen.

„Hier gibt es immer wieder Beschwerden wegen achtloser Autofahrer“, sagt Lopez. In der Diskussion mit Isabell Neser bleibt er diesmal im Konjunktiv: „Das würde Sie eigentlich jetzt bereits 55 Euro kosten, im schlimmsten Fall bekämen Sie einen Punkt.“
Noch sind die beiden Strafzettel-Verteiler kulant
Neser blickt ihn verdutzt an, von den neuen Verkehrsregeln wusste sie nichts. Nach dem Abliefern ihrer Ware und erleichtert, noch einmal davongekommen zu sein, nimmt sie sich noch einen kleinen Augenblick. Das wäre ja okay, erklärt sie, „solange man privat unterwegs ist und Zeit hat. Aber beruflich muss es bei uns schnell gehen.“
Sie will jetzt ihren Kollegen Bescheid sagen, was die in der StVO „Generelles Haltverbot auf Schutzstreifen“ genannte Vorschrift bei Nichtbeachtung zur Folge hat.
Genau das kontrollieren Manuel Lopez und Raffaele Zingariello gerade. Theoretisch könnten sie an diesem Morgen Bußgelder in Höhe mehrerer Hundert Euro aussprechen. „Aber wird sind schon einige Tage kulant“, sagt Manuel Lopez, „das liegt in unserem Ermessen“.

Verstöße im Minutentakt
Gegen die neue Regel verstoßen wird in der Friedrichstraße nicht nur von Metzgerei-Mitarbeiterin Isabell Neser, sondern im Minutentakt: ein Fahrer eines Rettungswagens, der auf seine Kollegin wartet; eine junge Frau, die selten Auto fahre und vom Verbot nichts wusste; ein Mitarbeiter einer Gärtnerei, der zwar von der Regel wisse, dem der Parkplatz für seinen Lieferwagen aber schlicht zu klein sei.

„Wenn jemand überhaupt kein Einsehen und Verständnis zeigt, dann gibt es auch jetzt schon einen Strafzettel“, erklärt Lopez. Ein Klassiker dazu: Fahrer von Paketdiensten, die unter enormem Zeitdruck arbeiten und beim Hetzen von Wohnung zu Wohnung keine Minute für die Parkplatzsuche finden.

Wenn dem Ärger über die Google-Bewertung Luft gemacht wird
Bei der Backstube Stickel weiß man offensichtlich von der problematischen Situation. In der Filiale weisen Verkäufer die Kunden darauf hin, Hinweise davor bitten darum, weder auf dem Fußweg noch auf dem Schutzstreifen für Radfahrer zu halten. Nur: Morgens haben es viele Menschen eilig, wollen sich noch ein Frühstück sichern – und nutzen dabei nicht einen der beiden Parkplätze vor der Filiale oder gar einen einige Meter entfernten.

„Man muss vorsichtig abwägen, wir wollen mit den Hinweisen einerseits keine Kunden vergraulen“, sagt Bäckerei-Chefin Alexandra Stickel, „andererseits wollen wir ja nicht, dass sie einen Strafzettel bekommen.“ Nicht immer sei dieses Abwägen erfolgreich. So erhielt die Bäckerei, die sonst im Internet gute Bewertungen erhält, negatives Feedback.

Für die Bäckerei gibt es ausdrücklich ein Lob und einen Daumen nach oben – aber die fehlenden Parkplätze und der drohende Strafzettel? Ein Stern bei Google. Bleibt für alle Seiten zu hoffen, dass sich die Menschen nach und nach an die neuen Regeln gewöhnen.