„Gammler-Mord“, das ist der Begriff der sich Konstanz ins Gedächtnis eingegraben hat, für die Ereignisse vom 29. August 1970. Der angetrunkene Hilfsarbeiter Hans Obser erschoss gegen 19.30 Uhr auf dem Augustinerplatz, nahe dem Blätzlebrunnen, mit einem Hasentöter (Schussapparat zur Tötung von Kleintieren) den Lehrling Martin Katschker. Eine Stele erinnert nun am Ort der Tat ans Opfer und die damaligen Ereignisse.

Bei der Vorstellung sagte Jürgen Klöckler, Historiker und Leiter des Stadtarchivs in Konstanz, nach umfangreichen Recherchen: Es sei kein politisch motivierter, rechtsextremer Mord gewesen, sondern vielmehr fahrlässige Tötung in Tateinheit mit Nötigung.

Genau zu diesem Schluss war auch das Landgericht Konstanz gekommen, als es über die Bluttat urteilen musste. Klöckler berührt damit eine alte Debatte. Kam es zur Bluttat, weil die Stimmung von rechten Hetzern aufgeheizt war und der damalige NPD-Stadtverordnete Walter Eyermann als Aufwiegler eine Rolle spielte?

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Jürgen Klöckler stellte fest, der Tat sei vor allem ein Verwaltungsversagen vorausgegangen. Die Stadt habe es über Wochen geduldet, dass Jugendliche an einem früheren Spielplatz auf dem Blätzleplatz unter schlimmen hygienischen Bedingungen lagerten und die freie Liebe übten.

Martin Katschker saß friedlich auf einer Bank

Der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes sah das am 3. September 1970 ganz anders. In einem Telegramm hieß es: „Obser, wie auch der Attentäter auf Rudi Dutschke, sind Werkzeuge einer gefährlichen, von einigen Rechtsextremisten organisierten Intoleranz und Gewalttätigkeit. Wie auch in Konstanz, so steht in den meisten Fällen die NPD hinter Pogromstimmung gegen Andersdenkende oder sich gegen die Norm verhaltende Jugendliche.“

Bei der örtlichen Trauerveranstaltung mit Gewerkschaftern, Kommunalpolitikern, Geistlichen und hunderten Menschen aus der Bevölkerung wurde die Forderung nach Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen laut.

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Die Stele wurde an einer der heutigen Sitzwellen am Augustinerplatz nahe dem Narrenbrunnen angebracht. Damals stand dort eine Sitzbank, auf der sich Martin Katschker niedergelassen hatte. Lange Texte auf der Vorder- und Rückseite erläutern die Tat, die Umstände und die Reaktion.

Nur das Opfer ist auf der Stele namentlich genannt, nicht aber sind es der Täter und der damalige NDP-Stadtverordnete. Dies sei auf Rat eines Kollegen aus rechtlichen Gründen geschehen, sagt Klöckler.

Täter wollte „unter den Gammlern aufräumen“

Hinter einem QR-Code auf der Stele verbirgt sich Jürgen Klöcklers Langversion mit Namensnennung, eine 38-seitige Abhandlung, die in der „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins“ erschienen ist. Dort heißt es über die Tat durch Hans Obser: „Spontan fasste er jetzt den Entschluss, unter den ,Gammlern aufzuräumen‘, Ordnung zu schaffen und sie zu vertreiben.

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Mit dem Kleintierschussapparat als Droh- und Druckmittel in der Tasche, begab er sich – und das ist entscheidend – ohne nachweisbare Tötungsabsicht beziehungsweise -vorsatz auf den Blätzleplatz.“ Hans Obser habe fahrlässig und nicht aus politischer oder rechtsextremistischer Motivation heraus gehandelt.

Die mittelbare Verantwortung für die explosive Stimmung damals habe bei Bruno Helmle gelegen, dem damaligen OB und Chef der Stadtverwaltung. Die konservative Bevölkerung sei stark irritiert gewesen, dass er, die Stadtverwaltung und die Polizei die Umtriebe auf dem Blätzleplatz duldeten, so Klöckler.

Die Stele zeigt den Ort der Bluttat auf dem Augustinerplatz. Er ist nahe dem Blätzebrunnen, der in den 70er-Jahren anders ausgerichtet ...
Die Stele zeigt den Ort der Bluttat auf dem Augustinerplatz. Er ist nahe dem Blätzebrunnen, der in den 70er-Jahren anders ausgerichtet war, wie das historische Bild auf der Stele zeigt. | Bild: Rindt Claudia

Wer das alte Bild aus den 70er-Jahren auf der Rückseite der Gedenkstele betrachtet, sieht, dass der Blätzlebrunnen einmal einen hohen Rand hatte, auf dem man gut sitzen konnte. Mit der Umgestaltung des Platzes wurde der Brunnen gedreht und tiefer gelegt.