Michael Buchmüller

In einem Jugendzentrum in Duisburg, in dem Burak Yilmaz als Betreuer arbeitet: Junge Muslime stellen sich im Kreis auf, strecken den Arm nach oben und rufen: „Heil Hitler!“ Und einer sagt mit einem provozierenden Lachen: „Wir sind Antisemiten: Und daran wirst auch du nichts ändern können!“ Ein Vorfall im Jahr 2009, der zum Wendepunkt in Yilmaz‘ erzieherischem Wirken wird.

Aufgewachsen in Duisburg in einer kurdisch-türkischen Familie, hat er als Kind selbst Rassismus mit deutschen Nachbarn erlebt. Der Satz: „Euch türkische Kinder sollte man in die Kammer schicken!“ hat sich ihm eingeprägt und ist dort hängengeblieben.

Burak Yilmaz mit seinem Buch „Ehrensache – Kämpfen gegen Judenhass“.
Burak Yilmaz mit seinem Buch „Ehrensache – Kämpfen gegen Judenhass“. | Bild: Michael Buchmüller

Er selbst, ein Grenzgänger zwischen den Kulturen, besucht ein katholisches Elitegymnasium und geht gleichzeitig in eine Koranschule. Seit 2012 fährt Yilmaz regelmäßig mit jungen Muslimen nach Ausschwitz.

Zuvor hatte er von einigen muslimischen Jugendlichen erfahren, dass ihre Schule sie von einer Gedenkstättenfahrt ausgeschlossen hatte, aus Angst vor ihrem vielleicht unangemessenen Verhalten. Inzwischen arbeitet er als selbstständiger Pädagoge, betreibt Biografiearbeit und Erinnerungskultur und hält Vorträge an Schulen.

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Bundesverdienstkreuz für Yilmaz

Dafür bekam er 2018 das Bundesverdienstkreuz. 2021 veröffentlichte er sein Buch „Ehrensache – Kämpfen gegen Judenhass“, mit dem er seitdem auch auf Lesetour in Deutschland unterwegs ist. Nun kam er nach Konstanz, um mit zwei Klassen der Gebhard-Gemeinschaftsschule im Rahmen des Universitätsprojekts „Gemeinsinn“ seine Arbeit zu diskutieren. Der Titel seines Vortrages: „Erinnern an den Holocaust – was hat das mit mir zu tun?“

Wie sich Yilmaz konkrete Erinnerungsarbeit vorstellt, wird gleich zu Beginn deutlich. Er habe im Stadtarchiv von Duisburg nachgeschaut, welche Verbindung es zu Konstanz gibt, und eine Gilda Loeb gefunden, die 1916 nach Konstanz auswanderte. Dann verliert sich die Spur. Aber wer könnte sie gewesen sein?

Der Pädagoge bleibt dran

Um das herauszubekommen, ist er in Kontakt mit dem Stadtarchiv. „Wenn ich mehr weiß, gebe ich euch Bescheid.“ Und sofort ist ein Bezug da, so wie es sich die Schüler im anschließenden Gespräch auch von einem lebendigen Geschichtsunterricht wünschen. „Konkrete Einzelschicksale kennenlernen, zum Beispiel über die Stolpersteine, Besuch eines KZ.“ Lena Wernicke fällt so einiges ein, was man tun könnte.

Vier von etwa 50 Jugendlichen an der Gemeinschaftsschule, die interessiert dem Vortrag von Burak Yilmaz folgten (von links): Leonie ...
Vier von etwa 50 Jugendlichen an der Gemeinschaftsschule, die interessiert dem Vortrag von Burak Yilmaz folgten (von links): Leonie Korb, Balduin Klaasen-van Husen, Felix Hannemann und Lena Wernicke. | Bild: Michael Buchmüller

Felix Hannemann zeigt sich erschüttert von der Zahl, dass nur noch 150.000 Juden in Deutschland leben. Das hätte er nicht gedacht. „Ich habe natürlich im Unterricht erfahren, dass während der NS-Zeit Millionen getötet wurden.“ Aber diese Zahl erschrecke ihn doch sehr. Nur noch so wenige …

Kaum einer kennt Juden

Yilmaz erzählt von seiner Erfahrung mit Schulklassen: „Wenn ich frage, wer Gerüchte über Juden kennt, gehen alle Hände hoch. Wenn ich frage, wer einen Juden kennt, bleiben meist alle Hände unten.“ Deshalb bringe er vor seinen Gedenkstättenfahrten auch immer muslimische und jüdische Jugendliche zusammen.

In der Begegnung wird dann schnell deutlich, dass sie viel mehr verbindet als trennt: die Erfahrung als Minderheit, die Angst vor rechter Gewalt. „Und dann entstehen Diskussionen, in denen es um Respekt und Menschenwürde geht.“

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Als Muslim weiß Yilmaz viel von alltäglichen Rassismus. „Da bekommst du an einem Tag das Bundesverdienstkreuz und willst es am nächsten Tag mit Freunden in Duisburg feiern – und wirst nicht in den Club reingelassen.“ Oder eine Freundin lädt ihn zu einem Familienfest ein, und die 91jährige Oma würdigt ihn keines Blickes, weil er ein Ausländer ist. Provoziert schließlich sogar mit dem Hitlergruß. „Das ist, wie wenn einer einem mit einem Baseballschläger auf den Kopf hämmert.“

Oft seien es Kleinigkeiten im Alltag, die auch die Schüler wahrnehmen. Hier an der Grenze zur Schweiz, so die Zehntklässlerin Leonie Korb, werde im Zug oder Bus ja oft kontrolliert. „Uns fragt man nur, wo wir hinwollen.“ Ein Gruppe muslimischer Jugendliche vor ihr musste Ausweise zeigen, und auch die Taschen wurden durchsucht. Oft werde Rassismus einfach heruntergespielt. Eine Meinung, die viele Schüler teilen.

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Yilmaz arbeitet seit 2017 auch mit jungen Männern im Gefängnis, die wegen rechtsradikalen Taten einsitzen. Einer von ihnen hat ein Flüchtlingsheim in seiner Straße in Bayern angezündet. „Die Anfangszeit im Gefängnis ist eine Krisenzeit, in der man sehr anfällig für Sündenböcke und Feindbilder ist.“ Selbst hier versucht er, dem Rassismus im Kopf des Strafffälligen zu begegnen.

Ausgerechnet Deutschland?

Yilmaz weicht immer wieder von seinem Manuskript ab und erzählt frei aus seinem Leben. Etwa davon, wie er seine Großeltern gefragt habe, warum sie ausgerechnet nach Deutschland gekommen seien. Das war, nachdem er als Zwölfjähriger „Schindlers Liste“ gesehen hatte.

Burak Yilmaz mit Gemeinschaftsschulrektorin Elke Großkreutz (l.), Initiatorin Aleida Assmann (2. v. r.) und Konrektorin Charlotte Dreßen
Burak Yilmaz mit Gemeinschaftsschulrektorin Elke Großkreutz (l.), Initiatorin Aleida Assmann (2. v. r.) und Konrektorin Charlotte Dreßen | Bild: Michael Buchmüller

Durch seine authentische Art zieht er die Jugendlichen in seinen Bann. „Krass fand ich das Beispiel mit dem Kinderbuch“, sagt Balduin Klaasen-van Husen. Zu Besuch bei einem Freund schaut Yilmaz mit dessen dreijährigem Sohn ein Buch an, in dem alle Figuren weiß sind. Bis auf eine, die im Gefängnis sitzt und die aussieht – wie er. Der Dreijährige zeigt auf ihn und dann auf das Buch: „Das Baldur.“

Wenn sich solche Bilder festsetzen, so der Pädagoge, dann wird Rassismus im Kopf schon ganz früh angelegt. Wogegen er weiter kämpfen wird. Und wobei er, so der Eindruck an diesem Morgen, auch Unterstützung von vielen der anwesenden Jugendlichen erfahren könnte. Die auch künftig gegen Vorurteile und Rassismus im Alltag unermüdlich angehen wollen.

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