Das wird ein ungewohntes Bild: Statt übervoller Wartezimmer in den Hausarztpraxen nun einen Tag lang gähnende Leere. Hintergrund ist ein Aufruf des Hausärzteverbands Baden-Württemberg zu einer Protestaktion. Die Ärzte wollen ein Zeichen setzen, da sie für die Zukunft der ambulanten Patientenversorgung schwarz sehen.
Auch die Gemeinschaftspraxis der Ärzte Certain, Bathelt, Fischer und D‘Alfonso im Seerheincenter schließt am Mittwoch ihre Türen, alle Patienten wurden informiert. „Wenn Sie in letzter Zeit einen Termin bei Ihrem Hausarzt hatten, ist Ihnen sicher nicht die lange Warteschlange entgangen“, sagt der Arzt Christopher D‘Alfonso.
Christopher D‘Alfonso schließt sich der Protestaktion an, weil er sich um die Zukunft seines Berufsstandes sorgt. „Wer will sich denn unter den aktuellen Bedingungen noch als Arzt niederlassen und eine Praxis übernehmen?“, fragt er. In Radolfzell seien aktuell vier Sitze der Kassenärztlichen Vereinigung frei, also vier Praxen unbesetzt. „Es findet sich kein Nachfolger“, sagt der Konstanzer Mediziner.

Das liege vor allem an vielen Stellschrauben, die es Ärzten schwer machten, ihre Existenz zu sichern: „Uns wurde die Extra-Vergütung über die Corona-Praxen gestrichen“, gibt der Konstanzer Arzt ein Beispiel. Behandelt werden Coronapatienten trotzdem. Auch eine Pauschale für Neupatienten gibt es nicht mehr und um einen Inflationsausgleich bei den Honoraren wird noch mit den Krankenkassen gestritten. „Wir müssen das Gehalt unserer Mitarbeiter erhöhen, um das Personal zu halten, denn neues Personal zu finden, ist extrem schwer. Dabei kämpfen viele Praxen um ihre Existenz. Das passt nicht zusammen“, so D‘Alfonso.
„Es ist nicht so, dass wir keine Lust haben zu arbeiten oder immer nur nach mehr Geld rufen. Wir alle arbeiten mit hängenden Zungen, um zumindest unsere langjährigen Patienten mit guter Qualität behandeln zu können.“ Neue Patienten könnten viele Ärzte gar nicht mehr aufnehmen, so auch seine Gemeinschaftspraxis. Im Gesundheitssystem seien die Hausärzte „am Ende des Tages immer die Idioten“.
Digitalisierung sorgte für Chaos
Das macht er auch am Beispiel der Digitalisierung fest: „Die Regierung wollte, dass wir digitale Lesegeräte für die Gesundheitskarten anschaffen und unsere Systeme umstellen. Das war nicht nur teuer, sondern hat auch viel Arbeit beschert. Es kümmert niemanden, zu welchem Chaos das im Praxisalltag geführt hat, bis alles reibungslos funktionierte“, sagt Christopher D‘Alfonso.

In dieselbe Richtung zielt die aktuelle Pressemitteilung des Hausärzteverbands Baden-Württemberg. Dessen Vorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth wird so zitiert: „Die flächendeckende Patientenversorgung ist massiv gefährdet. Die Zahl der Hausärztinnen und Hausärzten sinkt kontinuierlich, weil unser Beruf unattraktiv geworden ist. (...) Seit Jahren warnen Berufsverbände wie der Hausärzteverband Baden-Württemberg, dass der Ärztemangel die Patientenversorgung und -sicherheit gefährdet. Mit mäßigem Erfolg. Statt Rahmenbedingungen für Anreize und Entlastung zu schaffen, werden wir vor immer größere Herausforderungen gestellt.“
Ärzte und Patienten sitzen in einem Boot
Der Verband fordert von der Politik und allen am Gesundheitswesen beteiligten Organisationen und Institutionen „eine sinnvolle und sichere Digitalisierung, eine faire Vergütung mit Inflationsausgleich und die Sicherstellung der Hausarztzentrierten Versorgung als Innovationsmotor“. Nicola Buhlinger-Göpfarth ergänzt: „Gesundheit und eine qualitative Gesundheitsversorgung sind uns eine Menge wert. Wir protestieren am 19. Oktober nicht nur für den Hausarztberuf, wir protestieren für unsere Patientinnen und Patienten.“