Konstanz, Sommer 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, die Welt liegt in Trümmern. In Konstanz herrscht eklatanter Wohnungsmangel, dabei ist die Stadt von Zerstörungen verschont geblieben. Circa 70.000 Menschen, etwa doppelt so viel wie 1939, drängen sich in der Stadt. Mangel überall. Der Alltag eines Normalbürgers ist vor allem davon geprägt, zu überleben: Woher bekomme ich etwas zu essen? Wo gibt es Kleidung? Und wo gibt es Arbeit?

In Firmen stehen alte Maschinen, es fehlt an Ersatzteilen und Rohstoffen. Nicht gerade ideale Rahmenbedingungen, um mit einem neuen Unternehmen an den Start zu gehen. Doch Johannes Weyl wagt den Schritt. Der aus Kiel stammende Redakteur und Verlagsfachmann gründet den SÜDKURIER – „Tagblatt für Bodensee, Schwarzwald und das obere Donaugebiet“. Es wird sich zeigen: Der Hunger der Menschen nach verlässlichen und vertrauenswürdigen Informationen ist riesengroß.
Mutige Männer retten die Druckmaschine
Doch der Reihe nach: Am 25. April 1945, einen Tag vor dem Einmarsch der Franzosen in Konstanz, beweisen Karl Kunzweiler, Werkmeister in der Druckerei der Zeitung „Bodensee-Rundschau“ am Fischmarkt, und andere Männer großen Mut: Sie retten die Druckmaschine vor der Zerstörung.
„An diesem Tag versuchten die letzten Nazi-Größen, die Druckmaschine am Fischmarkt zu sprengen, weil sie nicht in Feindeshand fallen sollte“, erzählt sein Sohn Karlheinz, damals 16 und heute 91 Jahre alt. „Mein Vater hat mit List und Tücke verhindert, dass die Sprengsätze gezündet wurden.“

Nach Kriegsende drucken die Franzosen dort zunächst die Armeezeitung „Nouvelles de France“. Karlheinz Kunzweiler war in dieser Zeit mit seinen rudimentären Sprachkenntnissen Dolmetscher in der Druckerei.
Johannes Weyl will dem Land aufhelfen
Parallel treibt Johannes Weyl die Idee und die Pläne für den SÜDKURIER voran, den er schließlich gemeinsam mit Hugo Eckener und Paul Christiani gründet. Von diesen drei Männern stammt das Gesellschaftskapital. „Mein Vater hat nach dem Krieg überlegt, was man in Konstanz tun kann, um dem Land wieder aufzuhelfen“, sagt die heute 94-jährige Brigitte Weyl, Tochter von SÜDKURIER-Gründer Johannes Weyl und von 1970 bis 1989 Geschäftsführerin beziehungsweise Herausgeberin des SÜDKURIER.

Georges Ferber, der französische Nachrichten- und Kulturoffizier in Konstanz, unterstützt Johannes Weyl, um aus Freiburg die erforderliche französische Genehmigung für die Zeitung zu bekommen. „Ferber hatte bereits mit dem zuständigen General ausgemacht, dass es den SÜDKURIER geben sollte, ehe die französische Besatzungsregierung in Baden-Baden eingesetzt wurde“, so Brigitte Weyl, die bei Kriegsende in Berlin lebte.
Der erste Andruck ist ein kleines Fest
7. September 1945, der große Moment: Karlheinz Kunzweiler steht neben seinem Vater, als dieser die Druckmaschine für die erste SÜDKURIER-Ausgabe anschaltet, die am 8. September erscheint. Hochrangige Gäste sind dabei. „Es war fast wie ein kleines Fest“, erzählt der 91-Jährige.

Alfred Strobel, einer der ersten Redakteure, schildert in einem Buch zum 30-jährigen Bestehen des SÜDKURIER: „Am 7. September 1945 klang altvertrautes dröhnendes Rauschen aus dem Maschinensaal am Fischmarkt in Journalistenohren wie Musik. Für jeden ein erhebendes Gefühl, gedruckt zu sehen, was man nach monatelanger zeitungsloser Zeit erstmals in Satz gegeben hatte.“
Der SÜDKURIER ist eine Sensation für die Menschen
Die Ereignisse im Gebäude ziehen viele Neugierige an: „Auf dem Gehweg vor dem Drucksaal schauten Menschen durch die Fenster. Sie trauten ihren Augen nicht, als ich kurz darauf mit einigen SÜDKURIER-Ausgaben auf den Fischmarkt trat. Dürfen wir mal sehen? Gibt‘s tatsächlich schon wieder Zeitungen?“, so Strobel.
Werner Schwarzwälder, von 1994 bis 2005 Chefredakteur des SÜDKURIER, erzählt in der Chronik „Zeitbilder“ über die Nachkriegszeit: „Die Deutschen hungerten nach gedruckter Information, vom Nutzen des Papiers, zu dieser Zeit wichtig für jeden Haushalt, ganz zu schweigen.“
Sechs Seiten für 20 Pfennig
Der SÜDKURIER ist eine der ersten Zeitungen, die nach Kriegsende entstehen: Die erste Ausgabe hat sechs Seiten in Schwarz-Weiß, keine Bilder und kostet 20 Pfennig. „Der SÜDKURIER wird anknüpfen an die gute Tradition der Zeitungen, die früher in seinem Verbreitungsgebiet erschienen sind“, schreibt Johannes Weyl im Leitwort. „Aber wir leben jetzt in einer neuen Welt, die Zeiten und ihre Bedürfnisse sind durchaus verändert, und deshalb werden auch Charakter und Aufgabe einer neuen Zeitung eine andere sein müssen.“
Wie der Namen SÜDKURIER entstanden ist
Und der Name? Die Wahl fällt auf SÜDKURIER als eine offene Bezeichnung, die das große Verbreitungsgebiet einschließt und keine Assoziation zu einer Partei hat. Technisch greift man auf Vorhandenes zurück: 1945 gibt es in der Druckerei nur Sebaldusgotisch als größte Schriftart. Später entwickelt der Stuttgarter Grafiker Gottlieb Ruth den SÜDKURIER-Schriftzug, den es auch heute fast noch unverändert gibt.

Am Anfang ist die Zeitungsarbeit mühsam: Mitarbeiter müssen Stühle, Schreibmaterial und Holz für den Ofen selbst mitbringen. Sie sind in der Innenstadt verteilt, gearbeitet wird auch in der Wohnung von Paul Christiani. Zunächst kommt der SÜDKURIER zwei oder drei Mal pro Woche mit vier Seiten heraus – es gibt einfach nicht genug Papier. Ab 1. November 1953 erscheint er von Montag bis Samstag – bis heute.