Wenn man die Zahlen betrachtet, dann müsste der Inhalt dieses Artikels viele Leser betreffen. Denn es geht um diejenigen, die zu Hause Familienmitglieder pflegen. 2019 befanden sich schon über drei Millionen Menschen in ambulanter Pflege, 82 Prozent davon wurden von ihrer Familie unterstützt.
Diese brachten hierfür sechs Milliarden Pflegestunden auf. Und die vielleicht ärgerlichste Zahl: 900 Millionen Stunden wurden dabei für Bürokratie aufgewendet, um etwa Anträge für Pflegegrade oder Pflegehilfsmittel bei den Versicherungen zu stellen.
Das Konstanzer Start-up Ucura, das in Deutschland unter dem Namen „DeinePflege“ am Markt ist, will den Pflegenden einen Teil dieser verlorenen Zeit zurückgeben. Damit sie diese dort einsetzen können, wo sie wirklich gebraucht wird, im Miteinander.
Armando Statti, Markus Wild und Michael Maurer-Pühringer haben 2020 hierfür ihr Unternehmen gegründet. Sie entwickelten einen digitalen Pflegebegleiter. Dieser hat es zum Ziel, pflegende Angehörige „an die Hand zu nehmen, um sie zu jedem Zeitpunkt mit den nötigen Informationen und Hilfen bei ihrer Pflegearbeit unterstützen zu können“, wie es Markus Wild formuliert.
Die Bedürfnisse von Patienten kennen – so fing es an
Im Durchschnitt dauere so eine Pflegebegleitung sieben Jahre. Da werden viele Stadien durchlaufen, viele Probleme tauchen auf, mit denen Angehörige nicht selten überfordert sind. „DeinePflege“ will hier helfen. Mit einem Service, der bisher kostenlos ist und der immer besser werden wird, je mehr Erfahrungen die drei Gründer sammeln können, da sind sie sich sicher.
Schon zu Beginn, so Armando Statti, hätten sie mit 120 Patienten gesprochen, um möglichst genau deren Bedürfnisse zu erfassen. Daraus sei ein erstes Produkt entstanden, das 2021 an den Start ging. Online kann man in zehn Minuten einen Antrag auf einen Pflegegrad ausfüllen und abschicken.
Anja Straub, die Gesundheitswirtschaft studiert hat und durch einen SÜDKURIER-Artikel auf Ucura aufmerksam wurde, ist eine der ersten Mitarbeiterinnen und für den Kontakt zu den Kunden verantwortlich. Angehörige, die oft unter Druck und Stress stehen, zu entlasten, das sei das „Wertvollste, was wir tun können“, sagt sie.
Armando Statti: „Die Bürokratie dauerte viel zu lange“
Wild und Statti haben sich beim IT-Unternehmen IBM kennengelernt und dort erste Ideen entwickelt. Statti hat selbst erlebt, wie es ist, pflegebedürftig zu sein. Als Jugendlicher lag er ein halbes Jahr im Krankenhaus, über Jahre musste er an ein Dialysegerät angeschlossen werden. „Meine Mutter wollte zu Hause den Katheter pflegen, dafür musste sie aber erst eine Ausbildung machen.“ Dann waren Anträge zu stellen. „Die Bürokratie dauerte viel zu lange.“
Die Uni-Klinik Freiburg gab ihnen damals einfach alles an Material mit, als er nach Hause entlassen wurde. Schließlich mussten sie ja am nächsten Tag mit der Versorgung beginnen. Eine Erfahrung, die ihn geprägt hat. „Das muss doch anders gehen“, dachte er später. Am besten mit gesammeltem Wissen von möglichst vielen Patienten, mit dem man dann genaue Voraussagen treffen kann, was diese im nächsten Schritt benötigen.
2030 werden voraussichtlich sechs Millionen Menschen pflegebedürftig sein, und an Personal wird es überall fehlen. Dieser dramatischen Entwicklung müsse entgegengewirkt werden. Ucura wolle seinen Teil dazu beitragen. „Aber man braucht schon einen langen Atem.“ Das Team umfasst bereits acht Mitarbeitende.
Medizinische, bürokratische und mitmenschliche Aspekte
Statti kommt gerade von einer großen Konferenz in Finnland zurück. Das Thema ist auch europaweit wichtig. Wild mahnt trotzdem, dass man sich immer auf das konzentrieren müsse, was gerade anstehe, sonst verliere man den Fokus. Was schnell passieren könne, bei den vielen Aspekten, die das Pflegethema umfasse.
Deshalb will die Firma Schritt für Schritt gehen. Erst in Deutschland Fuß fassen und Vertrauen aufbauen bei den Familien. Ucura begreift die Pflegebegleitung als einen individuellen Weg, der medizinische, bürokratische und mitmenschliche Aspekte umfasse. Nicht umsonst steckt im Firmennamen das lateinische „curare“, das „sich kümmern“, „sich sorgen“, aber im Italienischen auch „heilen“ bedeutet.