Der blaue Koffer ist zur Hälfte gefüllt, eine Packliste mit Stift liegt oben drauf. Andreas Friedel bereitet sich für das größte Abenteuer seines Lebens vor. Eine Stammzelltherapie in Mexiko soll dazu beitragen, dass sein Körper nicht noch weitere Ausfälle zu verkraften hat. Denn er leidet seit rund 25 Jahren an chronischer Multipler Sklerose (MS), seit 2012 sitzt er im Rollstuhl.

Den rechten Arm kann er nicht mehr bewegen, den linken zunehmend weniger. Schreiben ist schwierig, auch mit den Augen hat er Probleme. In der Stammzelltherapie sieht der 52-Jährige seine letzte Chance. Spendenaufrufe in sozialen Medien, über Flyer und im SÜDKURIER brachten ihm die nötige Summe von rund 60.000 Euro ein.

Schreiben kann Andreas Friedel nur noch mit der linken Hand, obwohl er eigentlich Rechtshänder ist. „Sieht aus wie bei einem ...
Schreiben kann Andreas Friedel nur noch mit der linken Hand, obwohl er eigentlich Rechtshänder ist. „Sieht aus wie bei einem Erstklässler“, sagt er selbst. | Bild: Kirsten Astor

Wenige Tage vor dem Abflug ist der zweifache Familienvater „ganz aufgeregt, aber auch voller Vorfreude“, sagt er beim Besuch des SÜDKURIER. Am Samstag, 4. Februar, fährt seine Frau Jana ihn zum Flughafen Zürich. Sobald er am Schalter ankommt, begibt er sich in fremde Hände.

„Die Fluggesellschaft betreut mich auf dem Flug nach Mexiko, hilft mir beim Umsteigen in Madrid und Mexiko City“, erzählt Friedel. Sein eigener Rollstuhl wird im Bauch des Flugzeugs verstaut, er bekommt für den schmalen Gang im Flieger ein Sondermodell.

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Andreas Friedel möchte auch Mexiko kennenlernen

Vor Ort kümmert sich bis zum Rückflug einen Monat später ein Mann namens Mario. Er ist Mexikaner und wird einen Monat lang die 24-Stunden-Betreuung des Deutschen übernehmen, auch für ihn kochen. „Wir kennen uns zwar nicht und ich spreche nur ein bisschen Spanisch, aber ich freue mich drauf, denn er ist Einheimischer“, sagt Friedel.

„Ich bin gespannt, auch ein wenig von Mexiko und seinen Einwohnern mitzubekommen. Wir haben doch oft noch das alte Bild vom Zigarre rauchenden Mann mit Sombrero auf dem Kopf“, sagt er und lacht.

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Seinen Humor hat Andreas Friedel, der studierte Landschaftsarchitekt, trotz seiner langen Krankheitsgeschichte nicht verloren. „Dabei habe ich gehörig Respekt vor der Behandlung, sie ist eine Ochsentour“, so der Wahl-Konstanzer, der aus Schwäbisch Hall stammt.

Denn zunächst wird das Immunsystem mittels hoch dosierter Chemotherapie auf Null gesetzt und danach mithilfe der zuvor entnommenen, eigenen Stammzellen neu und gesund wieder aufgebaut. Diese Behandlung beginnt zwei Tage nach seiner Ankunft in Mexiko.

„Ohne Therapie liege ich bald dauerhaft im Bett“

Dass er einen Monat später den Rollstuhl verlassen kann, damit rechnet Friedel nicht. „Ich freue mich einfach, wenn die Verschlechterungen aufhören. Denn sonst liege ich bald im Bett und brauche Rund-um-die-Uhr-Betreuung“, sagt er.

Viele Betroffene in ähnlicher Lage warten nun ab, wie die Stammzelltherapie bei ihm anschlägt. „Die scharren mit den Hufen und denken sich: Wenn der Andi plötzlich Flic Flac kann, traue ich mich auch“, sagt er scherzend.

Das wäre sein Traum: Endlich wieder Bass spielen! Momentan ist das für den Konstanzer MS-Patienten Andreas Friedel undenkbar.
Das wäre sein Traum: Endlich wieder Bass spielen! Momentan ist das für den Konstanzer MS-Patienten Andreas Friedel undenkbar. | Bild: Archivbild: Kirsten Astor

Mutig ist seine Entscheidung trotzdem, schließlich bezahlen deutsche Krankenkassen die Behandlung unter anderem deshalb nicht, weil dabei Patienten sterben können. „Höre einfach in dich rein, was das Herz dir sagt“, meint der 52-Jährige.

Sein Herz sagte ihm, den Schritt zu wagen. „Ich habe alles andere schon ausprobiert. Weder Medikamente noch eine komplette Ernährungsumstellung haben geholfen. Ich war sogar bei mehreren Heilern, die Energie fließen lassen wollten. Der Flug nach Mexiko ist meine letzte Chance“, so Friedel.

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Nachdenklich ergänzt er: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal für eine Therapie um die halbe Welt fliegen muss. Dabei leben wir in einem Land, das nicht nur das Auto erfunden hat. Manchmal frage ich mich, was wohl die Mexikaner über uns denken.“