Julia Horn

Die Geschichte der Universität Konstanz beginnt auf einem Schmierzettel. Auf einem kleinen weißen Stück Papier, beschrieben mit vier Zeilen in einer schnörkeligen Handschrift. Es ist der 6. September 1959, als Kurt Georg Kiesinger diese Worte verfasst. Der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg und später dritte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, befindet sich in einer Bauernversammlung bei Singen. Mit dabei ist auch Ludwig Seiterich, zu dieser Zeit Landrat in Konstanz, dem Kiesinger seine handgeschriebene Botschaft zusteckt.

Auf dem Zettel steht: „Ich habe vorhin (Stadtrat) den Gedanken – falls neue Universitätsgründungen notwendig werden – Konstanz für unser Land vorgeschlagen.“ Der grammatikalisch etwas ungelenke Satz hält schriftlich fest, was Kiesinger schon eine Weile beschäftigt haben muss: Die Idee, in Konstanz eine Universität ins Leben zu rufen. Glaubt man der Gründungslegende, so hatte er diesen Einfall beim Anblick des Bodensees.

Kam die Idee zur Uni beim Erblicken des Konstanzer Trichters? Oder profitierte Konstanz einfach nur vom damaligen Bildungs-Boom?

„Der Mythos ist, dass der Ministerpräsident mit dem Auto vom Italien-Urlaub zurückkam, den Konstanzer Trichter sah und beschloss, dass hier eine Universität entstehen muss“, sagt Ulrich Rüdiger, ehemaliger Rektor der Universität Konstanz. Tatsächlich steckt hinter der Neugründung aber noch viel mehr als eine persönliche Vorliebe Kiesingers: Die Nachfrage nach einer Universitätsausbildung steigt in den 1960er Jahren massiv an und damit auch der Bedarf an Studienplätzen.

„Es mussten weitere Hochschulen geschaffen werden, um diesen Wissenshunger zu befriedigen“, erklärt Rüdiger. Im Zuge des sogenannten „Bildungsbooms“ entsteht auch der Wissenschaftsrat, der Bund und Länder seit 1957 in der Entwicklung von Hochschulen berät. Etwa zur gleichen Zeit, als Ministerpräsident Kiesinger Konstanz als Universitätsstandort ins Auge fasst, empfiehlt der Rat offiziell die Schaffung neuer Hochschulen, um bestehende Einrichtungen zu entlasten.

Neue Hochschulen entstanden bewusst in Randgebieten Baden-Württembergs

Die Empfehlung gilt auch für den Süden Deutschlands. Dass die Wahl hier auf Konstanz fällt, ist laut Rüdiger auch eine „Standortfrage“. Es werden dort neue Universitäten gegründet, wo es an der Versorgung noch mangelt. Das betrifft nicht nur die Bodenseeregion, sondern auch das Einzugsgebiet Ulm, wo etwa zeitgleich eine neue Hochschule entsteht. Ziel ist es, das Land Baden-Württemberg flächendeckend mit entsprechenden Bildungsangeboten auszustatten.

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Zu den Standortvorteilen von Konstanz gehört auch die direkte Lage am Bodensee sowie die Nähe zur Schweiz und Österreich. In der „Denkschrift über die Errichtung von wissenschaftlichen Hochschulen in Baden-Württemberg“, die die damalige Landesregierung im Jahr 1963 formuliert, wird sogar vorgeschlagen, dass Schweizer und österreichische Studierende die neue Universität ebenfalls besuchen könnten.

Konstanzer Konzil als Standortvorteil für eine Universität

Außerdem wird in der Denkschrift die bedeutende und lang zurückgehende Geschichte von Konstanz betont. Von 1414 bis 1418 fand in der kleinen Stadt am Bodensee das Konstanzer Konzil statt, bei dem die höchsten Kirchenvertreter aus ganz Europa zusammenkamen – bis heute das wichtigste Ereignis der Stadtgeschichte. Angesichts „der kulturellen Tradition“, so heißt es in der Schrift, verdiene Konstanz den Vorrang im Vergleich mit anderen potentiellen Universitätsstandorten.

Elite-Unis wie Harvard und Yale waren Vorbilder – zunächst

Am Bodensee, so der damalige Plan, soll eine Forschungsuniversität entstehen, an der nur 3000 junge Menschen aufgenommen werden. „Die Denkschrift entstand mit Blick auf die US-amerikanischen Forschungsuniversitäten wie Harvard oder Yale“, erklärt Rüdiger. Die geringe Anzahl an Studierenden wird angesichts der damals schon überfüllten Universitäten scharf kritisiert. Ebenso die Absicht, vor allem Studierende aufzunehmen, die bereits erfolgreich drei Semester an anderen Universitäten studiert haben. Als „Klein Harvard am Bodensee“ wird die geplante Bildungseinrichtung mal abfällig, mal spöttisch bezeichnet.

Oberbürgermeister Bruno Helmle setzt sich für Kiesingers Idee ein

Die Begeisterung, mit der die Entscheidungsträger der Stadt Konstanz die Idee einer Neugründung aufnehmen, bremst dies jedoch nicht. Schon vier Wochen nachdem Kiesinger dem Konstanzer Landrat Seiterich besagten Zettel zusteckt, diskutiert der Gemeinderat über die Möglichkeit einer Universitätsgründung in Konstanz und erklärt diese für wünschenswert. Besonders der damalige Konstanzer Oberbürgermeister Bruno Helmle ist von der Idee Kiesingers überzeugt.

Er soll, so schreiben die Autoren Klaus Oettinger und Helmut Weidhase in ihrem Buch über die Geschichte der Universität Konstanz, bei einem Besuch Kiesingers folgendes gesagt haben: „Ich hoffe, Herr Ministerpräsident, daß sie nicht erschrocken, sondern im Gegenteil erfreut über das tausendfache Echo sind, das Ihre Singener Worte geweckt haben.“

Stadtverwaltung und Gemeinderat ziehen mit

Tatsächlich bringen Kiesingers Zeilen einiges ins Rollen. Das zeigt sich zuerst einmal darin, dass die Konstanzer Stadträte geschlossen einer Resolution zustimmen, die die Neugründung einer Universität in Konstanz ausdrücklich begrüßt. Die Erklärung ruht heute noch auf dem Gießberg, eingemauert in den Grundstein der Universität. Kurz darauf ruft die Konstanzer Stadtverwaltung ein Kuratorium sowie ein „Referat für Universitätsgründung“ ins Leben.

Und schließlich, vier Jahre nachdem Kiesinger seine Idee auf einem kleinen Schmierzettel festhält, folgt am 27. Februar 1964 das wohl größte Echo der vier krakeligen Zeilen: Der Landtag in Baden-Württemberg beschließt ganz offiziell, dass in Konstanz eine neue Universität gegründet wird. Kurz darauf geht der Gründungsausschuss ans Werk, um das Konzept der neuen Bildungseinrichtung zu entwickeln.

Die Universität Konstanz ist beschlossene Sache. Der Rest ist Geschichte.

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Kooperationsprojekt Hochschulstadt Konstanz

Bild 1: Wie die Universität nach Konstanz kam: Am Anfang stand ein Schmierzettel von Kurt Georg Kiesinger
  • Dieser Artikel ist Teil einer Kooperation von Campuls und SÜDKURIER. Campuls ist das Konstanzer Studi-Magazin des Studierendenwerks Seezeit. Als Printmagazin erscheint Campuls, produziert von einer studentischen Redaktion, viermal im Jahr und ist kostenlos an der Uni, der HTWG und verschiedenen Standorten in Konstanz zu finden. Außerdem gibt es exklusive Onlinebeiträge von Campuls Online bei Facebook und unter folgendem Link: https://www.seezeit.com/leben/studi-magazin-campuls/
  • Das Kooperationsprojekt „Hochschulstadt Konstanz“ soll die Perspektiven von Lokalzeitung und Studi-Magazin vereinen. Mit vereinten Kräften wollen Campuls und der SÜDKURIER die Stadt Konstanz als vergleichsweise jungen Hochschulstandort beleuchten. Wie kamen Uni und HTWG nach Konstanz? Welchen Einfluss haben die Hochschulen auf die Stadt? Diesen und weiteren Fragen sind wir gemeinsam nachgegangen. Sie finden die Beiträge der Kooperation auf suedkurier.de und bei Campuls Online.