Wie hört sich die Stimme des Volkes an? Singt sie "Für uns soll's off'ne Grenzen geben", das Erkennungslied der Konstanzer Pro Europa-Kundgebung Pulse of Europe? Schreibt sie, vielleicht auch zu diesem Artikel, dass die Stimme des Volkes schon viel zu lange nicht gehört wird, Medien und Politiker lügen und die Bundestagswahl schon zeigen werde, was Sache ist? Oder schweigt sie, weil sie weder die einen noch die anderen mehr hören kann? Die Stimme des Volkes, sie hat wohl so viele verschiedene Töne, dass es schwer ist, sie auszumachen. Und doch scheinen manche zu wissen, wie sie klingt. "Das ist euer Moment, das ist euer Tag. Die USA sind euer Land", sagte US-Präsident Donald Trump in seiner Antrittsrede. Auch Marine Le Pen fühlt sich als Vertreterin der von der französischen Politik "Vergessenen", die im Weltbild der politischen Klasse in Paris angeblich nicht vorkommen. Genauso wie sich Hugo Chavez, Venezuelas Ex-Präsident, immer als Mann des einfachen Volkes sah – bis er auf das Volk schießen ließ.
Populisten, sagt Marcel Lewandowsky, unterteilen die Gesellschaft in zwei Seiten. Auf der einen: eine angeblich korrupte Elite, die etablierte Politik. Auf der anderen Seite: eine scheinbar homogene Bevölkerung. Wir – und die da oben. Lewandowsky beschäftigt sich an der Helmut-Schmidt-Uni Hamburg mit dem Thema Populismus. Mit welchen Strategien punkten populistische Parteien? Welches Gegenmodell entwerfen sie? Darüber diskutierte Lewandowsky mit Sophie Schönberger und Wolfgang Seibel von der Uni Konstanz vor rund 120 Besuchern in der Konstanzer Spiegelhalle unter dem Titel: "Populismus – gefühlte Demokratie?"
Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Das "Wir" entscheidet. Aber wer sind "Wir"? Im Rechtspopulismus jene, die in ein gewünschtes Gemeinschaftsbild passen, sagt Lewandowsky. Dieses Gemeinschaftsbild definiere sich dabei gerade eben nicht über Ethnien – "sondern über eine gewachsene Kultur, die es zu verteidigen gilt". Rechtspopulistische Parteien, so Lewandowsky, profitieren davon, dass sie nicht extremistisch auftreten. Dass sie wie Geert Wilders von der niederländischen PVV ("Partei für die Freiheit") sagen: Unsere Kritik gilt nicht Muslimen, sondern dem Islamismus als politischer Richtung. "Dieses vermeintlich Nicht-Rassistische macht den Populismus anschlussfähig." Wie unterschiedlich die Schattierungen des Populismus sein können, zeige sich auch im Parteiprogramm der PVV. Dort heißt es, Homosexualität ist Teil der niederländischen Kultur. "Diesen Satz würden Sie beim Front National oder bei der AfD niemals finden." Wenngleich Wilders auch den Grund für diese Einstellung mitliefert. Er betont, dass es die liberale Gesellschaft, die Rechte der Homosexuellen und die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu verteidigen gilt – gegen den Islam. Eine Grundaussage, die beispielsweise auch weibliche, akademisch gebildete und gut verdienende Frauen anspricht. "Rechtspopulistische Parteien sind nicht die Parteien der Modernisierungsverlierer oder die neuen Arbeiterparteien", betont Lewandowsky. Die Wahrscheinlichkeit, eine rechtspopulistische Partei zu wählen, hänge nicht damit zusammen, ob man in der Tat wirtschaftlich benachteiligt ist. Es gehe um das Gefühl, dass es anderen besser geht und einem selbst der soziale und wirtschaftliche Abstieg droht. Solche Wähler könnten auch aus der Mittelschicht kommen.
Und in Zukunft? Was würde passieren, wenn populistische Parteien an der Macht sind? Lewandowskys erste Erkenntnis am Beispiel der Schweizer Volkspartei (SVP): "Je länger Kandidaten im Parlament sitzen, desto weniger stark sind sie gegen die da oben ausgerichtet." Und: "Je mehr Zeit populistische Parteien gewinnen, je länger sie sich auch in der Opposition als relativ starke Partei halten und je stärker ihre Strukturen werden, desto weniger wird man sie auf diesem Wege, nämlich der Einbindung und dem Verlust von Führungspersönlichkeiten, loswerden."

"Demokratien sind komplex"
Wolfgang Seibel, Verwaltungswissenschaftler an der Uni Konstanz, sprang bei der Veranstaltung des Exzellenzclusters kurzfristig für die Politologin Paula Diehl ein. Seibel ging auf Kommunikationsstrategien in der Politik ein:
- „Demokratien sind komplex und nicht einfach zu verstehen“: Gerade deshalb sei es für Politiker schwierig, komplizierte Probleme anzusprechen und zum Thema zu machen. „Oft neigen Politiker deshalb dazu, solchen Themen auszuweichen. Weil sie wissen: Es zahlt sich nicht unbedingt an der Wahlurne aus.“
- „Populismus schlummert in der Demokratie“: Im Werben um die eigene Position müsse jeder Politiker buchstäblich populär sein. „Man muss es so verpacken, dass die Menschen es verstehen – und dabei trotzdem glaubwürdig und ehrlich bleiben. Jedenfalls sollte man sich bemühen, das zu bleiben“, so Seibel. „Das ist der Beginn der Grauzone – bis es in die Versuchung hinüber gleitet, Dinge zu versprechen, von denen man selbst genau weiß oder wissen müsste, dass sie nicht realisierbar sind. Die CSU hat das mehrfach vorgeführt – denken Sie an das Betreuungsgeld oder die Pkw-Maut.“