Hast du schon einmal was von Rudi Rakete gehört? Nein? Na, dann pass gut auf! Rudi Rakete ist nämlich ganz ohne Zweifel das beste Kind der Welt. Er hat golden glänzendes Haar, trägt meistens einen alten Zylinder, Cowboystiefel und kurze Hosen. Ja, auch im Winter! Zusammen mit dem Piratenhauptmann Käpt`n Schleuder, Prinzessin Moa und dem Hüpfschwein Nucki wohnt er in einem Haus am Fluss. Sie erleben allerhand aufregende Abenteuer und wundersame Geschichten. Eine möchte ich dir erzählen…
Fische halten Winterschlaf
Es ist ein ruhiger Morgen im Haus am Fluss. Käpt‘n Schleuder ist schon auf Schatzsuche, Moa sitzt in der Küche, hört Radio und trinkt Kaffee und Nucki schläft noch tief und fest. Rudi sitzt auf der Veranda vor dem Haus und wirft seine Angelschnur aus. Das ist nämlich seine liebste Beschäftigung, musst du wissen. Seit ein paar Tagen ist es kalt geworden und die Fische wollen nicht mehr so recht beißen. „Vermutlich halten sie Winterschlaf oder sie sind nach Süden gezogen, wie die Vögel, und sonnen sich jetzt im Mittelmeer“, überlegt Rudi. „Es ist ja schon bald Weihnachten… Oh Mann! Weihnachten!!!“ Rudi springt auf und rennt ins Haus. Er hat ganz rote Ohren vor lauter Aufregung. „Moa!“, ruft er. „Moa! Wann ist Weihnachten?“ „Hm, mal nachsehen“, sagt die Prinzessin und schaut auf den Kalender. „Nur noch ein paar Mal schlafen“, antwortet sie. „Überleg dir doch, was du dir wünschst und schreib einen Brief an das Christkind!“
Rudi setzt sich zu Moa an den Küchentisch. Was er sich wünscht? Das ist eine gute Frage! Eigentlich hat er ja alles, was er zum Leben braucht. Seine Cowboystiefel passen ihm perfekt, seinen alten Zylinder würde er nie im Leben austauschen und auch seine Angel funktioniert bestens. „Vielleicht eine echte Rakete?“ sagt Rudi nach einigem Überlegen. Er heißt nämlich mit ganzem Namen Kronprinz Rudbert von und zu Silvester Rakete. Da wäre es doch gut, auch eine echte Rakete zu besitzen. „Hm“, sagt Moa. „Ein guter Wunsch! Allerdings ist es vielleicht ein bisschen schwierig, eine echte Weltraumrakete als Geschenk unter einen Baum zu legen.“ Das leuchtet Rudi ein. Puh, aber dann ist guter Rat wirklich teuer. Weihnachten ohne Wunsch, das geht ja schließlich auch nicht.
„Was wünschst du dir denn?“ fragt Rudi Moa. „Na, neue Socken, wie jedes Jahr!“ sagt die Prinzessin. Sie ist nämlich zu faul, ihre alten zu stopfen, aber sag das bitte nicht weiter. Von Socken ist Rudi wenig begeistert, als Weihnachtswunsch ist das nichts, findet er. Also beschließt er, Schleuder zu fragen: „Schleuder, was wünscht du dir zu Weihnachten?“ Der Seemann hat darüber noch gar nicht nachgedacht. Bislang war er im Winter immer in der Südsee, wo es weder Christbäume noch Zimtsternduft gab. Und damit auch keine Geschenke. Er hat also keine Ahnung. Ratlos schaut er Rudi an, der ungeduldig auf eine Antwort wartet. Und plötzlich hat Schleuder eine gute Idee. „Ich hab‘s!“ ruft er und springt auf. „Ich wünsche mir so eine tolle Christbaumspitze, wie wir sie hier auf dem Bäumchen im Wohnzimmer haben!“ Moa hat schon den Baum geschmückt und ganz oben ragt eine goldene Spitze, die funkelt und leuchtet, dass es Rudi jedes Mal ganz warm ums Herz wird, wenn er sie betrachtet. „Wir haben doch schon eine. Warum willst du nochmal eine Spitze nur für dich?“, will er wissen. „Na, das ist doch wohl klar!“ entgegnet Schleuder. „Die mache ich am Mast meines Kahns fest. Erstens habe ich dann sowas Ähnliches wie einen Weihnachtsbaum an Bord und zweitens sehen mich die anderen Schiffe besser, weil der alte Kutter dann strahlt wie ein Leuchtturm!“
Eine fantastische Idee, findet Rudi. Das ist wirklich mal ein guter Wunsch. „Dann wünsche ich mir auch eine Christbaumspitze“, ruft er. Schleuder schaut ihn zweifelnd an und fragt: „Und was machst du dann damit?“ Darüber hat Rudi sich keine Gedanken gemacht. Er fand den Wunsch so gut, dass er dachte, es wäre auch was für ihn. Verlegen schaut er auf die Spitzen seiner Cowboystiefel. „Keine Ahnung“, murmelt er. „Dann müssen wir uns etwas anderes für dich überlegen“, sagt Schleuder. Rudi seufzt. Moa konnte ihm nicht helfen und Schleuder auch nicht. Vielleicht sollte er Nucki, das Hüpfschwein, fragen?
Brief an das Christkind
Doch Nucki grunzt nur beiläufig, als Rudi ihm sein Problem schildert. Das Schweinchen liegt vor dem warmen Ofen, und es ist für jeden zu sehen, dass es sich dort sehr wohlfühlt und nichts weiter braucht. Da fällt Rudi auf, dass es ihm eigentlich genauso geht. Eigentlich ist das ja ziemlich schön, denkt er sich. Wunschlos glücklich sein, einfach so, das können wahrscheinlich nicht viele.
Also schlendert Rudi pfeifend in sein Zimmer und schreibt mit Schönschrift auf ein Blatt Papier: „Liebes Christkind! Ich wünsche mir, dass alles so bleibt, wie es gerade ist. Die Welt ist wunderbar und so soll sie immer sein. Im Sommer sollen Kirschen an den Bäumen hängen und im Winter Eisblumen am Fenster glitzern. Zusammen mit Moa, Schleuder und Nucki möchte ich jeden Abend einen Fisch essen und der Sonne beim Untergehen zusehen. Und sonntags möchte ich meinen Opa, den König, besuchen. So wie wir es immer schon getan haben! Liebe Grüße, dein Rudi Rakete.“ Zufrieden steckt Rudi den Brief in einen Umschlag und gibt ihn am nächsten Morgen Schleuder, der ihn zur Post bringen soll.
Zeit kann man nicht aufhalten
Und rate mal, was dann an Heiligabend passiert ist? Unter dem Baum lagen Geschenke. Socken für Moa, eine Christbaumspitze für Käpt‘n Schleuder, Kekse für Nucki und für Rudi ein kleiner Karton. Darin waren Wasserfarben, Silvesterraketen zum In-den-Himmel-Schießen, und Blumensamen. Dazu eine Karte, auf der stand: „Lieber Rudi! Vielen Dank für deinen Brief. Die Zeit kann man leider nicht aufhalten, nicht einmal ich kann das. Du wirst größer und manche Dinge werden anders, aber auch das wird schön, du wirst sehen! Damit du siehst, was ich meine, pflanze die Blumensamen im Garten an und warte auf den Frühling. Und wenn dir die Welt einmal zu grau und eintönig wird, nimm Farbe und male sie an oder mach ein ordentliches Feuerwerk. Das hilft immer! Alles Liebe, dein Christkind!“
Die Geschichte stammt aus dem Buch: „Rudi Rakete und das Haus am Fluss“ von Veronika Fischer, 25 Geschichten zum Vor- oder Selberlesen, Fronelle Verlag, 2017, 14,90 Euro, ISBN:9783000583308 auf www.fronelle.de oder im Buchhandel erhältlich.