„Eine jüdische Gemeide ist erst dann eine jüdische Gemeinde, wenn sie eine Synagoge hat“, sagt Benjamin Nissenbaum, Vorsitzender der Konstanzer Synagogengemeinde.
55 Jahre nachdem sein Vater, der Shoa-Überlebende Shimon Nissenbaum, auf eigene Kosten eine kleine Synagoge in Konstanz stiftete, bekommt die jüdische Gemeinde nun ein eigenes Gotteshaus.
Die neue Synagoge steht kurz vor der Eröffnung und es muss noch viel gerichtet werden. Trotz der Hektik sind Benjamin Nissenbaum Genugtuung und Vorfreude ins Gesicht geschrieben.

Neubau steht unweit der in Nazi-Deutschland zerstörten Synagoge
Es ist ein historischer Moment für die jüdische Gemeinde und die Stadt Konstanz, das spürt man beim Besuch des Gotteshauses. 1883, vor 136 Jahren, weihte die damalige jüdische Gemeinde der Stadt ihre Synagoge ein.
1936 verübten die Nazis einen Brandanschlag auf sie, 1938 wurde das jüdische Gotteshaus in der Nacht zum 10. November im Konstanzer Pogrom endgültig zerstört.

Die Reichspogromnacht markierte den Beginn der Deportation und Ermordung vieler Jüdinnen und Juden aus Konstanz. Jetzt, 81 Jahre später, eröffnet die neue Synagoge im Zentrum der Altstadt.
Drei Jahre dauerte der Bau des neuen Gotteshauses, getragen von der IRG Baden, dem Dachverband der jüdischen Gemeinden in Baden. Die Kosten liegen bei etwa fünf Millionen Euro. „Ich bin sehr zufrieden, dass wir jetzt wieder eine sichtbare Synagoge in unserer Stadt haben“, sagt der gebürtige Konstanzer Benjamin Nissenbaum.

Der Gebetsraum bildet das Zentrum der neuen Synagoge
Die Stadt Konstanz beteiligte sich an dem Vorhaben, das bereits seit 20 Jahren im Gespräch war. Kostenlos überließ sie der Religionsgemeinschaft das denkmalgeschützte ehemalige Gasthaus Anker und das Nachbargrundstück.
Im ersten Stock des Neubaus liegt das Herzstück der Synagoge: der Gebetsraum.

An der Stirnseite des Raumes gut zu erkennen, ist der zentrale Tora-Schrein. Darin befinden sich zukünftig die Tora-Rollen, die Teil der hebräischen Bibel sind. Bei Eröffnung des neuen Gotteshauses werden die Rollen in einer feierlichen Prozession in den Neubau getragen.
Mehr als ein halbes Jahrhundert diente die kleine Synagoge an der Sigismundstraße 19 der Gemeinde als Gotteshaus. Jetzt zieht die Religionsgemeinschaft in die neuen und größeren Räumlichkeiten um.

Gemeindekinder haben den Tora-Schrein mitgestaltet
Bei Bau und Gestaltung des Gebetsraumes wurden keine Mühen gescheut: Das rötliche Holz ist Kirschholz aus einem Kibbuz in Israel. „Es fühlt sich sehr schön an, im fertigen Gebetsraum zu stehen“, sagt Lea Schamberger im Vorfeld der Eröffnung.
Die 26-Jährige ist stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Konstanz.

Seit fünf Jahren ist sie Teil der Gemeinschaft, vor allem mit Kindern arbeitet Schamberger. Das neue Gotteshaus biete viel mehr Platz für ein aktives Gemeindeleben, erklärt sie.
Die Gemeindekinder hätten den Tora-Schrein, im Hebräischen: Aron ha-Kodesch, mitgestalten dürfen. Auf ihrem Smartphone zeigt sie ein Bild.

Synagoge soll Dach sein für orthodoxe und liberale Juden
Lange war unklar, ob die Pläne für eine neue Synagoge überhaupt in die Tat umgesetzt werden. Viele Jahre stritten sich orthodoxe und liberale Juden innerhalb der Gemeinde. Stein des Anstoßes war etwa, ob der Gebetsraum nach orthodoxer Auffassung in einen Bereich für Männer und einen für Frauen unterteilt wird. Im orthodoxen Judentum beten Frauen und Männer getrennt.
Die neue Synagoge hat nun eine Empore, auf der sich während des Sabbats und an Feiertagen ausschließlich Frauen einfinden.

Benjamin Nissenbaum betont, dass die neue Synagoge Dach für alle Jüdinnen und Juden in Konstanz und Umgebung sei. „Egal ob sehr fromm, fromm oder liberal“, sagt der 66-Jährige.
Der liberale Teil der Gemeinde habe eigene Räumlichkeiten, in denen Frauen und Männer zusammen beten könnten, erklärt Nissenbaum. Diese würden sich im historischen Teil der neuen Synagoge befinden, dem ehemaligen Gasthof Anker.
Das Gebäude wurde aufwendig restauriert und in den Neubau integriert. Dabei kamen auch Wandmalereien zum Vorschein, die nun Teil der Räume der jüdischen Gemeinde sind.

Der Fahrstuhl hat einen Sabbat-Modus
Im großen Saal im Erdgeschoss wird künftig gemeinsam gefeiert und gegessen, zum Beispiel bei den für das Judentum typischen Mahlzeiten nach dem Gottesdienst. Die Speisen werden natürlich koscher in zwei voneinander getrennten Küchen zubereitet.

Beim Bau der neuen Synagoge wurden die Bedürfnisse aller Gemeindemitglieder berücksichtigt. Der Fahrstuhl etwa lasse sich automatisch betreiben, erklärt Gabriel Albilia, Mitglied des Vorstands.
Unter anderem am Ruhetag Sabbat sei es Jüdinnen und Juden verboten, körperliche Arbeiten zu verrichten. Dazu gehöre auch die Benutzung des Fahrstuhlschalters, erklärt er nicht ohne ein Schmunzeln. Um Menschen mit Gebrechen oder Behinderung nicht auszuschließen, fahre der Fahrstuhl an diesen Tagen voll automatisch – wie ein Paternoster.

Sicherheitsvorkehrungen in der neuen Synagoge sind streng
Der gebürtige Israeli Gabriel Albilia kam 2006 mit seiner Familie nach Konstanz, seitdem ist er in der Gemeinde aktiv. „Die neue Synagoge ist nicht nur ein Gebäude, sondern Ausdruck jüdischen Lebens in Konstanz„, sagt der 45-Jährige.
Der Anschlag von Halle hat erneut gezeigt: Im Deutschland der Gegenwart ist jüdisches Leben der Bedrohung durch antisemitische Gewalt und Terror ausgesetzt. Auch die neue Synagoge in Konstanz kommt nicht ohne strenge Sicherheitsvorkehrungen aus.
Eine Polizeistreife bewacht das Gotteshaus derzeit rund um die Uhr. Den Haupteingang bildet eine Sicherheitsschleuse mit zwei Türen, einer Kamera und einem Wachschutz. Beim Besuch in der Synagoge wird dieser Bereich gerade fertiggestellt.

„Es schmerzt uns, dass wir im Gegensatz zu jeder Kirche keine offenen Türen haben“, sagt Benjamin Nissenbaum. Er fühle sich selbst manchmal wie ein Gefangener. Aber die Gemeinde müsse sich vor der realen Gefahr antisemitischer Gewalt schützen. „Der Anschlag in Halle hat viele Gemeindemitglieder weiter verunsichert“, sagt der Vorsitzende der Gemeinde.
Trotz der gebotenen Sicherheitsvorkehrungen wolle sich die Gemeinde für die ganze Stadt öffnen, betont Nissenbaum. Die neue Synagoge werde ein Ort der Begegnung und des Austausches mit allen Bürgern sein.