Im November letzten Jahres das Konstanzer Landgericht, jetzt die Tabledance-Bar Babalou an der Schweizer Grenze: Die Orte, die sich das Literatur-Ensemble "Wortörtlich" für seine szenischen Lesungen aussucht, sind tatsächlich alles andere als gewöhnlich.
Konventionen? Nein, danke. Es geht nur um die Literatur, und die soll für jeden Zuhörer möglichst greifbar sein. Das Mantra der elf Künstler: Texte aus ganz unterschiedlichen Epochen mit dem Aufführungsort verschmelzen lassen. Wortörtlich eben.
Sie studieren Kulturwissenschaften, haben in Mathematik promoviert oder kellnern in Restaurants. Mit einer Tabledancebar, allgemein mit dem Rotlichtmilieu, haben die Konstanzer Literaturexperten von „Wortörtlich“ bisher wenig zu tun gehabt. Und doch wollen sie sich bei ihren Aufführungen reinfühlen in das Denken eines Freiers. Damit das klappt, heißt es für die elf Wortörtlich-Künstler: ganz viel lesen.
So wie Adrian Heilemann. Er liest jeden Abend alles Mögliche, in letzter Zeit vor allem erotische Literatur. Stoffsammlung für die szenischen Lesungen in der Tabledancebar. Heilemann ist schon seit drei Jahren Teil des Ensembles. Damals gab es Wortörtlich so noch gar nicht. Erst 2014 ist das Literatur-Ensemble aus dem studentischen Arbeitskreis Kultur Uni Konstanz hervorgegangen. „Mit Literatur werden Sprache und Gedanken in Worte gefasst. Das ist faszinierend“, sagt der 22-Jährige über sein großes Hobby Lesen. Heilemann studiert Physik an der Uni Konstanz.
„Das Geilste an der Literatur ist das eigene Kopfkino. Das ist besser als Hollywood!“, sagt der 35-jährige Jörg Lillich in der Bischofsvilla am Seerhein, wo das Wortörtlich-Team sich wöchentlich trifft, um Texte zu besprechen. Lillich hat Musiktheater-Regie studiert und hat als Regieassistent am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg gearbeitet, bevor es für den Master in Literatur, Kunst und Medien nach Konstanz ging. Mittlerweile ist er Dozent an der Uni. Das Hobby Literatur hat er also zum Beruf gemacht.
„Es darf nicht nur sexy sein, es braucht auch die Literatur“, sagt Lillich. Die Kernidee der szenischen Lesung in der Tabledancebar ist für ihn: „Der Freier soll zum jedermann werden.“
Da nickt Leonardo Aguirre. Als Kind wollte der 33-jährige Schweizer Schriftsteller werden. Studiert hat er aber Mathematik an der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Den Doktor hat er in Mathe sogar noch oben draufgesetzt. Zurzeit lebt er in Tägerwilen und macht das, was ihm richtig Freude bereitet: Lesen, einfach nur lesen. Irgendwann will er wieder zurück an die Uni, dann aber soll es etwas mit Kultur und Literatur sein.
Die Chefin des Wortörtlich-Ensembles ist die 28-jährige Carolin Schulz. Zusammen mit der 26-jährigen Cecilia Preiß hat sie Wortörtlich groß gemacht. „Wir inszenieren Literatur an Alltagsorten, damit sie zugänglicher wird. Klassiker wie Sappho, Goethe oder Nabokov machen großen Spaß, wenn sie Bezug bekommen zur eigenen Lebenswelt. Mit Wortörtlich wollen wir in vielen merkwürdigen Räumen lesen – das fehlt im Kulturprogramm vieler Städte“, sagt Carolin Schulz.
Termine und Karten
Das Stück „Rotlicht Betrachtungen – eine Lesung am Ende der Tugend“ ist Teil der „Wortörtlich“-Trilogie „Glaube – Liebe – Hoffnung“, die sich mit den historischen Ereignissen rund ums Konstanzer Konzil auseinandersetzt. Vier Lesungen finden statt: am 29. Mai, 31. Mai, 2. Juni und 5. Juni (jeweils 19.30 Uhr). Karten gibt es in der Buchhandlung Homburger & Hepp, im Büro der Konzilstadt Konstanz sowie im Internet unter www.wortoertlich.de