Konstanz – Jede vierte Familie in Konstanz ist alleinerziehend. Zur Gesprächsrunde „Die Situation der Alleinerziehenden verbessern“ des Kreisverbandes der Grünen mit drei Expertinnen sowie Moderatorin und Landtagsabgeordneten Nese Erikli kamen dagegen nicht mal vier betroffene Mütter. Wo sind die alle? „Keine Zeit, kein Babysitter, Verdruss gegenüber der Politik“, antworten die, die da sind. So gesehen ist dieser Abend ein Abbild dessen, wie es um ihre Situation überhaupt steht: Weder haben sie eine starke Lobby in der Politik, noch finden die meisten Betroffenen die Zeit, sich zu vernetzen – sondern ziehen sich lieber zurück.
Ihre Situation öffentlich thematisieren, auch in diesem Artikel, wollen sie nicht. „Weil Alleinerziehende von der Gesellschaft als Gescheiterte stigmatisiert werden“, lautet das harte Fazit von Christine Finke an diesem Abend. Die Bloggerin, Autorin, Stadträtin und alleinerziehende Mutter kämpft seit Jahren beharrlich für mehr Rechte und Unterstützung und schreibt beispielsweise in ihrem Buch „Allein, alleiner, alleinerziehend“: „Es ist nämlich so: Wenn du alleinerziehend bist, hast du etwas falsch gemacht. Entweder den falschen Mann geheiratet oder dir in der Ehe nicht genug Mühe gegeben. Der einzige akzeptable Grund ist, durch einen tragischen Schicksalsschlag zur Witwe geworden zu sein. Leider oder zum Glück trifft das nur auf sechs Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland zu.“
Die Stigmatisierung durch die Gesellschaft mag das eine sein. Das andere sind die strukturellen Probleme. Mehr als 90 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen, und die Mehrheit, nämlich 60 Prozent, schafft es, ohne staatliche Existenzsicherung über die Runden zu kommen. Die meisten mithilfe ihrer Expartner. „Die anderen balancieren ihr Leben am Abgrund“, so Finke. Für kaum eine Gruppe der Bevölkerung ist das Armuts- und Altersarmutsrisiko so groß wie für sie. Vor allem, weil es für sie noch schwieriger ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. „Die paar Euro mehr Unterhaltsvorschuss im Monat seit der Gesetzesreform ist eine Witznummer“, sagt Susanne Biskoping, die zweite Expertin an diesem Abend.

Die Leiterin des Frauenhauses in Singen kennt die besonders dunkle Seite, warum Frauen überhaupt zu Alleinerziehenden werden, nur zu gut. Die Frauen, die sie betreut, werden mit ihren Kindern teilweise von der Polizei gebracht. Eine Trennung vom Vater ist ohnehin schon schwer. Ist dann noch Gewalt im Spiel, wird es noch mal schwerer. „So. Und dann setzen Sie sich mal hin, kümmern sich um 40-seitige Anträge, Bewilligungen, neue Konten, Unterhaltsansprüche. Mit Formularen, über denen selbst ich teilweise sitze und denke: Wie ist das denn jetzt gemeint?“ In diesem bürokratischen Apparat, appelliert Susanne Biskoping an die Landtagsabgeordnete Nese Erikli, müsse sich dringend etwas ändern.
Aber auch für gut ausgebildete, beruflich erfolgreiche Frauen ist es schwer, alleinerziehend zu sein. Tanja Edelhäuser, stellvertretende Leiterin des Referats für Gleichstellung und Familienförderung der Uni Konstanz, dritte Expertin des Abends und selbst alleinerziehend, hat schon viele Mütter und Väter begleitet. Ihre Erfahrung: Das harte akademische Umfeld drängt alleinerziehende Nachwuchswissenschaftlerinnen irgendwann aus dem Wettbewerb. Der realistischere Weg für die meisten ist, sich einen Job außerhalb der Uni zu suchen, statt auf eine Professur hinzuarbeiten. Die meisten seien dann aber schon 40 bis 45 Jahre alt und werden als „überqualifiziert“ abgelehnt. Bei vielen anderen an der Uni funktioniere es aber auch sehr gut. Es gibt die Uni-Kita mit Betreuungszeiten bis 20 Uhr und am Samstag, sowie eine Notfallbetreuung. Eine Mutter im Publikum schnaubt kurz. „Das hätte ich auch gerne“, sagt sie. Stattdessen müsse sie kurz vor 16.30 Uhr den Stift fallen lassen, um ihr Kind aus der Betreuung zu holen. „Katastrophal“ seien die Angebote im Landkreis Konstanz für Alleinerziehende, sagt Susanne Biskoping. „In ganz Deutschland“, ergänzt Christine Finke.
Und die Lösung? „Alleinerziehungsbeauftragte in jeder Stadt“, antwortet die Stadträtin. Dazu: Die steuerliche Benachteiligung Alleinerziehender gegenüber Verheirateten durch das Ehegattensplitting aufheben. Familienhilfen schneller gewähren. Die Jugendämter aufstocken. Bezahlbaren Wohnraum schaffen, alternative Wohnprojekte mitdenken: In München beispielsweise gibt es „Alleinerziehenden-WGs“, in denen Mütter – und vielleicht auch bald Väter – mit ihren Kindern zusammen leben und sich gegenseitig unterstützen. Auch Christine Finke könnte mit zwei Freundinnen und deren Kindern zusammenziehen, sagt sie – allerdings fehlt bislang die bezahlbare Sieben-Zimmer-Wohnung.
Angebote für Alleinerziehende
Die Jugendhilfe des Sozialamtes Konstanz unterstützt Familien und Alleinerziehende mit persönlicher und finanzieller Hilfe:
- Die Beistandschaft unterstützt bei der Feststellung der Vaterschaft und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen. Zahlt der andere Elternteil nicht, gibt es einen staatlichen Unterhaltsvorschuss, der ab 1. Juli erweitert wird: Künftig übernimmt der Staat den Vorschuss bis zum vollendeten 18. Lebensjahr des Kindes und ohne Zeitbegrenzung. Bisher wurde nur bis zum 12. Geburtstag gezahlt und auch nur höchstens sechs Jahre lang. Die Sätze sollen je nach Alter zwischen 152 und 268 Euro monatlich liegen. Bei Kindern ab zwölf Jahren aber soll es nur dann einen Anspruch geben, wenn das Kind nicht auf Hartz IV angewiesen ist. Zum Stichtag 31.12.2016 waren 728 Beistandschaften beim Jugendamt eingerichtet.
- Für den Besuch einer Kita kann das Jugendamt den Beitrag ganz oder teilweise übernehmen. Die Vergabe der Betreuungsplätze, erklärt die städtische Pressesprecherin Anja Fuchs, erfolgt in allen Konstanzer Einrichtungen auf Grundlage der individuellen Bedarfslage durch ein Punktesystem, in dem Alleinerziehende besonders berücksichtigt sind, vor allem in Verbindung mit einer Berufstätigkeit. „Alleinerziehende berufstätige Mütter oder Väter erhalten auf Wunsch in der Regel einen Ganztagesbetreuungsplatz“, so Fuchs.
- Weitere Angebote sind Hilfen zur Erziehung in Vollzeitpflege, Tagesgruppen und vollstationäre Jugendhilfeeinrichtungen, Familienhilfe, Pädagogische Lernhilfe und sonstige Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch III. Das Jugendamt kann außerdem Kosten für Kindertagespflege und Ferienfreizeiten übernehmen. (sap)