„Fail to grow“ steht als Mission auf einem Blatt Papier: scheitern, um zu wachsen. Es hängt an einer Wand, auf der unterschiedliche Teams aufgeführt sind, daneben kreisrunde Fotos der Mitarbeiter. Einer von ihnen ist Sanya Zillich und er hat ein Ziel: Die Anzahl der zurückgeschickten Artikel aus dem Online-Handel zu reduzieren.
App erstellt 3D-Fußmodell
„Wir haben festgestellt, dass viele ihre online bestellten Schuhe zurücksenden. Das ist schlecht für die Umwelt und kostet die Händler viel Geld“, sagt er. Zillich arbeitet bei der Konstanzer Firma Formigas, die Smartphone-Apps entwickelt. Ihr neuestes Projekt heißt ShoeFitter, auf deutsch etwa Schuhanprobierer. Damit lassen sich die Füße ganz einfach mit dem Smartphone vermessen. Das resultierende 3D-Fußmodell wird dann mit einer Datenbank abgeglichen, um den ideal sitzenden Schuh in der richtigen Größe zu finden. So soll es in Zukunft möglich sein, bequem von zu Hause aus passende Schuhe zu bestellen, ohne durch das Rücksenden zu großer oder zu kleiner Modelle unnötige Lieferungen und Müll zu verursachen.

Dass die Deutschen online gekaufte Waren in großem Umfang zurücksenden, zeigen Zahlen der Forschungsgruppe Retourenmanagement, die von der Universität Bamberg gegründet wurde. 2018 schickten Menschen hierzulande rund 487 Millionen Artikel zurück – Fernseher, Bücher, DVDs, Smartphones und: Kleidung. In der Kategorie der Modeartikel wurde knapp jedes zweite Paket zurück an den Händler gesendet, schätzen die Forscher.
Infrarotsensor ermöglicht millimetergenaue Vermessung
2018 sei bei Formigas die Idee entstanden, Oberflächen mit Kameras zu vermessen. Scheitern war allerdings ein Teil des Prozesses. Anfangs ging es noch um Golfplätze. Eine App sollte Spielern helfen, den Ball präzise ins Loch zu manövrieren. Die Entwickler diesen Ansatz später wieder fallen gelassen, „weil es dafür keinen Markt gibt“. Nun also Füße. „Eine normale Kamera ist beim Erkennen von 3D-Objekten zu ungenau“, erklärt Zillich. Das iPhone X des US-Konzerns Apple hat jedoch einen Infrarotsensor, der unter anderem dazu genutzt wird, das Gerät mit dem Gesicht zu entsperren.
Mit dieser Technik sei eine millimetergenaue Erfassung von Objekten möglich, so Zillich. Auch neue Smartphones mit Android-Betriebssystem hätten zunehmend diesen Sensor. Die Herausforderung bestehe darin, aus der „Punktewolke der erfassten Objekte die richtige Auswahl zu treffen“. Anders ausgedrückt: Wenn man den Fuß scannt, muss die Kamera den Hintergrund und andere irrelevante Informationen ausblenden.

Formigas sucht Investoren und Hersteller als Partner
ShoeFitter sei momentan eine Demo-App, die potentiellen Kunden zeigen soll, was möglich ist. Bisher haben die Entwickler nur einige wenige Schuhmodelle ausgemessen und in die Datenbank eingefügt. „Wir brauchen mehr Daten über das Innere der Schuhe“, sagt Sanya Zillich, „und sind mit ein paar der größten Hersteller in Deutschland im Gespräch“. Bis zur Marktreife der App ist also noch Arbeit zu tun.
Bis Februar möchte Formigas einen Schuhhersteller als Partner gewinnen. Dieser könnte ShoeFitter zum Beispiel in seine App integrieren und so herausfinden, ob die Retourenquote tatsächlich sinkt, wenn die Kunden vorher ihre Füße ausmessen. „Im Anschluss wollen wir auch einen Investor finden“, beschreibt der 33-Jährige die Zukunftspläne. Dann müsste Formigas das Projekt ShoeFitter in ein eigenes Unternehmen ausgliedern.
An Ideen für Anwendungsgebiete der Technik mangelt es Zillich nicht. So seien später auch individuell angepasste Schuhe auf Basis des Fußmodells oder der Bereich Orthopädie denkbar. Erst einmal müssen Zillich und seine Kollegen jedoch andere von ihrer Idee überzeugen. Scheitern, so wirkt es, möchte er dabei nicht.