Miguel Helm

Warum geht ein ziemlich erfolgreicher und gut aussehender Ingenieur ins Bordell? Oder ein ziemlich kluger und voll im Leben stehender Steuerangestellter? Das Konstanzer Literatur-Ensemble Wortörtlich thematisiert dies in der Tabledancebar Babalou: mit seiner szenischen Lesung "Rotlichtbetrachtungen – Eine Lesung am Ende der Tugend".

Was die Konstanzer Literatur-Liebhaber auf die Beine stellen, ist unorthodox. Das geht schon beim Ort der Aufführung los. Babalou-Bar, Kreuzlinger Straße, 20 Uhr: Der selbst ernannte "exclusive Nightclub" in Konstanz, der auf seiner Internetseite mit gepflegter Erotik bis 5 Uhr morgens wirbt, ist nicht der Ort, an dem der Literat Hermann Hesse oder die Bibel-Korinther eine Rolle spielen.

An der Theke der abgedunkelten, dunkelrot beleuchteten Bar sitzt Keven Sevgi, weißes Unterhemd, breite Statur, flotte und einfache Spreche. Der 24-Jährige arbeitet seit gut einem Jahr in der Tabledancebar: "Mit Literatur hatte ich bisher nicht viel Kontakt. Aber dann war ich überrascht, das alles hier ist nämlich ganz anders als so dieses klassische Theater oder halt Literatur."

Ein paar Meter weiter auf der Tabledancefläche spielt das Stück der Konstanzer Künstler um die beiden Wortörtlich-Chefinnen Cecilia Preiß (26) und Carolin Schulz (28): Die Lesung handelt von Rainer, einem Mann, der menschliche Nähe in seinem Leben braucht, sie im echten Leben nicht findet und deswegen "sich wie ein streunender Kater durch die Nacht stiehlt". "Uns dient Rainer als Prototyp eines Freiers", sagt Ensemble-Mitglied Jan Metzger (27). Und dieser Prototyp wird vom Wortörtlich-Ensemble im Laufe des Stücks in seine verschiedenen Facetten aufgetrennt. Jan spielt den Lüstling Rainer. Die Facette des Rainer also, die nie genug sexuelle Befriedigung haben kann. "Ich spiele das gerne, weil ich Extreme, die sich ja auch in dieser Rolle zeigen, spannend finde", sagt der fertig studierte Germanist. Eine andere Facette von Rainer ist die des Zweiflers. Die spielt Leonardo Aguierre. In seiner Rolle stellt er sich die Frage nach dem Zusammenhang von Liebe und Sexualität.

"Ich finde die Aufführung sehr krass und richtig gut gemacht", sagt Udo Dölling (54), der zum ersten Mal heute im Babalou ist. Nadja Heldig ist 67 und war schon mal vor 50 Jahren im Gebäude des Babalou, damals war die Tabledancebar eher ein Jugendtreff zum Tanzen. Sie sagt: "Ich habe das so gar nicht erwartet. Ich habe es mir anders vorgestellt, mehr Tanz und mehr nackte Haut. Aber so finde ich es auch toll!"

Wortörtlich

Die Gruppe ist 2014 aus dem Arbeitskreis "Kultur Uni Konstanz" (KUK) hervorgegangen. Carolin Schulz und Cecilia Preiß wollten mit ihren Aufführungen raus aus der Universität und rein in den Alltag der Menschen. Das junge Konstanzer Ensemble inszeniert Literatur ortsspezifisch, so waren die Wortörtlichen beispielsweise im vergangenen Herbst zum Thema Hoffnung im Konstanzer Landgericht zu Gast. Dabei soll eine zugängliche und bewegende Literaturerfahrung jenseits von Konventionen entstehen. Die Reihe "Glaube – Liebe – Hoffnung", zu der auch die aktuelle Lesung "Rotlichtbetrachtungen" gehört, wird von der Stadt gefördert und setzt sich mit den historischen Ereignissen rund ums Konstanzer Konzil auseinander. (mgh)

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