„Viele ältere Menschen würden das Kurzstreckenticket sehr, sehr gerne nutzen“, ist sich Hans-Peter Klauda sicher. Er ist Vorsitzender des Stadtseniorenrats Konstanz und hat gemeinsam mit den anderen Mitgliedern einen offenen Brief an den Geschäftsführer der Stadtwerke verfasst. Darin heißt es, die aktuelle Lösung diskriminiere eine erhebliche Anzahl von Bürgern „und ist daher nicht hinzunehmen“.

Knapp vier Wochen ist es her, dass die Kurzstreckentarife für Busfahrten in Konstanz eingeführt wurden. Was grundsätzlich bei den allermeisten Bürgern auf Zustimmung stoßen dürfte, steht jetzt jedoch in der Kritik: Die neuen Fahrkarten können nur online per Smartphone-App gekauft werden. Das spare Vertriebskosten, so die Stadtwerke, die sie über das günstigere Ticket eins zu eins an die Kunden weitergäben.

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„Wir haben von vornherein gesagt, wir können uns der Technik nicht verschließen“, sagt Klauda und macht klar, dass der Stadtseniorenrat nichts gegen die Smartphone-Lösung per se hat. Aus seiner Sicht müsse es aber eine Alternative geben. Sein Vorschlag: Eine Übergangszeit von zwei Jahren, in der auch an den Automaten günstigere Fahrkarten angeboten werden. Diese sollten dann für zwei Haltestellen gültig sein.

Dieser Vorschlag widerspricht allerdings der Idee des neuen Tickets, bei dem sich der Preis nach der Luftlinie zwischen den Haltestellen richtet: Bis 1,2 Kilometer 1,50 Euro und bis zwei Kilometer 1,80 Euro. Würde sich der Preis nach der Anzahl der Stopps richten, wäre eine Fahrt von Dettingen nach Wollmatingen (sieben Kilometer) ebenso teuer wie eine Fahrt vom Bodanplatz zur Konzilstraße (800 Meter). „Es wird nie eine Lösung geben, die für alle gerecht ist“, wendet Klauda ein.

Auch die Lebendige Nachbarschaft übt Kritik

Kritik kommt auch von der Gruppe Lebendige Nachbarschaft Allmannsdorf. Sie hat dem SÜDKURIER eine Liste mit 58 Unterschriften „gegen die für alte Menschen nicht praktikable Handhabung des Kurzstreckentarifs„ geschickt. Der Stadtseniorenrat, an den sich die Gruppe auch gewandt habe, spricht von über 60 Personen, von denen nur zehn ein Smartphone besäßen. Und „keiner der Smartphone-Nutzer möchte Geldgeschäfte darüber durchführen“, heißt es in dem offenen Brief des Seniorenrats.

Lange bevor es ein reines Smartphone-Ticket in Konstanz gab, wurde ein solches Modell in Heidelberg eingeführt. „Bei uns hat das im Prinzip ähnlich angefangen“, sagt Thomas Schweizer vom Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN). Er ist dort Leiter der Abteilung Marketing und Tarif und war im vergangenen Jahr Gast einer Veranstaltung der Stadtwerke Konstanz, bei dem über verschiedene Kurzstreckenmodelle diskutiert wurde. 2013 sei in Heidelberg probeweise ein Kurzstreckentarif eingeführt worden, der nur über das Smartphone verfügbar ist. Auch dort habe es Kritik gegeben, der durch eine offene Kommunikation und das Herausstellen der Vorteile mit der Zeit nachgelassen habe. 2017 sei die Lösung auf den gesamten Verkehrsverbund ausgeweitet worden.

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Bei dem dortigen System wird beim Ein- und Aussteigen die Fahrt auf dem Smartphone gestartet und beendet und automatisch der günstigste Preis berechnet. „Dadurch müssen die Menschen die Tarife nicht kennen“, erklärt Schweizer, was eine Vereinfachung sei. Außerdem könnten die Kunden während der Fahrt überlegen, ob sie früher oder später aussteigen wollen als geplant. Der Umsatz durch den sogenannten E-Tarif sei von 630.000 Euro in 2017 im nächsten Jahr auf 1,7 Millionen Euro gestiegen und in diesem Jahr gehe der Zuwachs weiter.

Schweizer sieht keine Diskriminierung älterer Menschen

Schweizer sagt, er glaube nicht, dass ältere Menschen von dem Tarif ausgeschlossen seien. „Der älteste Nutzer des E-Tarifs ist 85 Jahre alt“, was zwar eine Ausnahme sei, aber die Entscheidung liege ja letztlich bei den Fahrgästen, die auch auf andere Tarife wie vergünstige Monatskarten für Senioren zurückgreifen könnten.

Trotz der grundsätzlich positiven Entwicklung sei drei Jahre nach der Einführung in Heidelberg die Diskussion um Papiertickets für die kurzen Wege wieder aufgekommen. „Die Stadt wollte das durchsetzen und der Bürgermeister hat zugesagt, alle Mehrkosten zu übernehmen“, erinnert sich Schweizer. Deswegen werde es ab Januar auch an den Automaten einen Kurzstreckentarif geben. Die Kosten beziffert er mit einem mittleren fünfstelligen Betrag. Dass der Smartphone-Tarif rechtlich zulässig ist, dabei ist sich Schweizer sehr sicher. Da sich der VRN über drei Bundesländer strecke, mussten drei Genehmigungsbehörden zustimmen, „und alle haben es abgesegnet“.

So sieht die App aus, wenn man das Ziel auswählt.
So sieht die App aus, wenn man das Ziel auswählt. | Bild: Jonas Schönfelder

So eine Zustimmung war auch im Konstanzer Fall nötig. Josef Siebler, Pressesprecher der Stadtwerke Konstanz, schreibt, das Kurzstreckenticket „wurde vom Regierungspräsidium in dieser Form genehmigt“. Das bestätigt auch ein Sprecher des Regierungspräsidiums Freiburg. Die Linke Liste Konstanz (LLK) gibt sich damit jedoch nicht zufrieden und hat dort eine Aufsichtsbeschwerde eingelegt. In einer Pressemitteilung schreibt sie, nach dem Personenbeförderungsgesetz müsse die Tarifgestaltung die Fahrgäste gleichbehandeln. Dagegen verstoße der Tarif, weil „überproportional viele Senioren das neue Kurzstreckenticket nicht nutzen können“, heißt es weiter.

Hans-Peter Klauda will das Thema bei einem Termin mit dem Oberbürgermeister im November zur Sprache bringen. Wenn es keine andere Lösung gebe, wolle auch der Seniorenrat juristisch gegen die derzeitige Umsetzung vorgehen. „Ich will aber lieber erst andere Wege versuchen“, sagt er.

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