Denkwürdige Szenen spielen sich in diesen Tagen am neu errichteten Grenzzaun zwischen Konstanz und Kreuzlingen ab. Pärchen stehen sich gegenüber und halten Händchen über das trennende Gitter hinweg. Hin und wieder patrouilliert die Grenzschützer, um sicherzustellen, dass niemand verboten die Grenze übertritt.
Grenzüberschreitende Liebesbeziehung? Kein „triftiger Grund“ für einen Passierschein
Auch Alisa Probst und Alejandro Seifert stehen sich gegenüber und schauen sich tief in die Augen. Beide hoffen, dass es für Paare wie sie auch ohne Trauschein künftig möglich sein wird, sich mit einem Passagierschein entweder in Konstanz oder in Kreuzlingen zu treffen. Bislang benötigen deutsche Staatsbürger, die in Kreuzlingen leben, „triftige Gründe“, um Menschen in Konstanz zu besuchen – eine Freundschaft gehört nicht dazu.
Etwas weiter haben sich Maja Chan und Paul Pflanz zum geselligen Plausch über WhatsApp verabredet.

Maja, Schülerin am Suso-Gymnasium, befindet sich eigentlich in der heißen Phase der Vorbereitung auf das schriftliche Abitur. Sie genießt es aber, dass passend zum Frühlingswetter das schulische Netzwerk zusammengebrochen ist und sie nun einen guten Grund hat, ihr Lernen am heimischen Bildschirm zu unterbrechen.
Es hat auch etwas Romantisches
Sie baue ganz auf den „Lernschub“ in der nächsten Woche. Paul Pflanz auf der Konstanzer Seite des Grenzzaunes wurde durch die Corona-Krise um seinen strukturierten Alltag gebracht: „Ich stehe zur Zeit auf, wann ich will. Sobald die Uni wieder offen hat, gehe ich wieder nach Wien, wo ich Mathematik und Philosophie studiere.“ Während Maja die erzwungene Abschottung durch die Grenze als surreal empfindet, kann Paul dem Ganzen durchaus eine romantische Seite abgewinnen.
Reichenauer Gemüse für die Schwestern aus Kreuzlingen...
Nicht weit weg von den beiden haben sich die drei Schwestern Verena Übel, Beate Herrmann und Felicitas Fiala am Grenzzaun eingefunden und betreiben dort einen kleinen Warenverkehr.

Von den drei Ur-Konstanzerinnen lebt Verena Übel mittlerweile auf der Reichenau, weshalb sie in diesen Krisenzeiten ihre beiden in Kreuzlingen lebenden Schwestern mit frischem Gemüse versorgt.
...und Schweizer Schoggi für die Reichenauerin
Im Gegenzug werden ihr Schweizer Schoki-Leckereien über den Zaun gereicht. „Wir treffen uns wieder, wenn die Vorräte aufgebraucht sind und wenn das Wetter passt“, geben sie lachend zu Protokoll. Sie versuchen aus der Situation das Beste zu machen und die Krise pragmatisch zu meistern.
Kein Kontakt mehr zu den Enkeln
Verena Übel verzichtet vorläufig wie ihre Schwestern auf den direkten Kontakt mit ihren Enkeln. „Die leben in München und ich habe ihnen gesagt, dass sie ihre Oma ja an Weihnachten wieder besuchen können.“ Felicitas Fiala meint mit einem hintergründigen Lachen, dass die erzwungene Trennung durch die Grenze mancher Ehe ganz gut tun wird. „Die Freude auf den Anderen wird dadurch umso größer.“ Alle Drei sind sich sicher, dass durch die Zwangsaufenthalte zu Hause sowohl die Geburten- als auch die Scheidungsrate steigen werden.
Totale Ausgangssperre? Davon halten die drei Schwestern nichts
Und in der Runde ist man sich auch einig, dass die bisherigen Maßnahmen genügen, um das Virus einzudämmen und eine totale Ausgangssperre nicht verhängt werden muss. Gerade für ältere Menschen sei es wichtig, durch regelmäßige Spaziergänge draußen oder Fahrradtouren das Immunsystem zu kräftigen. Das dies auch in den Zeiten von Corona weiter möglich sein wird, sind sich vor allem die Schweizerinnen sicher: „Schließlich haben wir hier eine funktionierende Demokratie.“