Im Jahr 2017 beschlossen mein Mann und ich, möglichst viele Länder hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang mit dem Fahrrad zu besuchen. Knapp achttausend Kilometer haben wir bereits zurückgelegt und dreizehn ehemalige Ostblockländer besucht. Im Herbst 2020 belegten wir einen Russischkurs. Ich kann nicht behaupten, dass wir weit gekommen sind. Der zweite Lockdown bremste uns aus, dann folgte der Umzug meiner inzwischen pflegebedürftigen Eltern. Das Leben war mindestens so anstrengend wie kyrillisches Alphabet und slawische Grammatik. Aber immer noch wollten wir mit dem Fahrrad den sogenannten goldenen Ring altrussischer Städte besuchen und dann St. Petersburg.

SÜDKURIER-Kolumnistin Ulrike Blatter unterwegs per Fahrrad in der Region von Kaliningrad.
SÜDKURIER-Kolumnistin Ulrike Blatter unterwegs per Fahrrad in der Region von Kaliningrad. | Bild: Ulrike Blatter

Heute klingt das so realistisch wie die Reiseplanung in ein Paralleluniversum. 2018 haben wir bereits einmal Russland besucht, und zwar die Exklave Kaliningrad. Man hatte uns dringend abgeraten – zu gefährlich und außerdem nicht schön. Zugegeben, die Formalitäten des Grenzübertrittes waren eine Zumutung. Aber die Stadt gefiel uns und die Freundlichkeit der Leute war beeindruckend. Nie werde ich vergessen, wie ich ächzend und fluchend das Vorderrad meines schwer beladenen E-Bikes auf einen Bordstein wuchtete, der (gefühlt) 50 Zentimeter hoch war. Plötzlich erhob sich der hintere Teil meines Gefährts wie durch Zauberhand und schwebte über das Hindernis. Ein Bär von einem Mann stand lächelnd hinter mir, brachte mein Rad in Positur, so dass ich bequem aufsteigen konnte, grüßte lächelnd und verschwand.

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Unsere Fahrt ging weiter durch die kleinen Dörfer der kurischen Nehrung und immer wieder sahen wir dort Gedenkstätten mit den Namen russischer Soldaten, die dort im Zweiten Weltkrieg gefallen waren. Es waren so viele Namen so furchtbar junger Menschen. Bedrückend. Aber trotz dieser finsteren Wegmarkierungen wurden wir in den Dörfern immer wieder angehalten: Eine Frau präsentierte mir ihre verdatterte Katze, die ich unbedingt fotografieren sollte. Man lud uns ein auf ein Tässchen Tee oder hielt uns fest, bis ein Dolmetscher zur Hand war, um uns auszufragen. Hier wiederholte sich, was ich auch schon 1994 bei einem Arbeitsprojekt in Sibirien erlebt hatte: Gastfreundschaft, Zugewandtheit und Interesse ganz normaler Menschen wie du und ich.

Das Foto der verdatterten Katze von der Reise nach Kaliningrad und durch das Kurland im Jahr 2018.
Das Foto der verdatterten Katze von der Reise nach Kaliningrad und durch das Kurland im Jahr 2018. | Bild: Ulrike Blatter

Damals setzten wir Russland auf unsere Reiseliste. Die Naturgewalt Corona hat uns ausgebremst, der Krieg jedoch ist menschengemacht und viel erschreckender. Für die Recherche zu meinem neuen Buch hat mir die Landesregierung ein Reisestipendium bewilligt. Polen und die baltischen Staaten stehen auf der Liste sowie ein Abstecher in das Dreiländereck zwischen Polen, Weißrussland und der Ukraine. Heute klingt schon Polen wie ein Abenteuer. Aber noch planen wir.