Morgens um 7.10 Uhr ist die Welt in Gottmadingen nicht mehr in Ordnung. Die zwei großen Gelenkbusse aus Gailingen kommen am Bahnhof an und spucken jede Menge Schüler aus. Die wollen mit der DB-Regionalbahn weiter nach Singen zu den Gymnasien fahren. Aber sie wissen genau, dass der Anschluss Glückssache ist. Der Zug, der aus Schaffhausen kommt, bringt meistens schon so viele Fahrgäste aus Thayngen mit, dass er niemals alle Pendler aus Gottmadingen aufnehmen kann.

Schon der Gelenkbus aus Gailingen ist überfüllt. Auch diese Schüler müssen alle pünktlich nach Singen zu den weiterführenden Schulen ...
Schon der Gelenkbus aus Gailingen ist überfüllt. Auch diese Schüler müssen alle pünktlich nach Singen zu den weiterführenden Schulen kommen. Für manche ist das jedoch ein aussichtsloses Unterfangen. | Bild: Tesche, Sabine

Für die drei zwölfjährigen Freundinnen aus Gailingen Kira, Mila und Caroline beginnt also das neue Schuljahr mit dem täglichen Kampf um einen Platz im Zug. Schon das dichte Gedränge im Bus von Gailingen widerspricht allen Regeln der Corona-Verordnung. An diesem Morgen reicht auch das Drücken und Schieben am Bahnsteig nicht, um in den Wagen einsteigen zu können. Den Schülerinnen bleibt mit rund 30 anderen Fahrgästen nichts anderes übrig, als auf den nächsten vollen Zug zu warten. Ob sie es noch pünktlich zum Unterricht ins Hegau-Gymnasium schaffen?

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Bundespolizisten verwundert über Chaos

Zwei Beamte der Bundespolizei, die in unregelmäßigen Abständen am Gottmadinger Bahnhof vorbeischauen, können sich über das Chaos nur wundern. Ungläubig beobachten sie das Geschehen, das für die Gottmadinger seit Monaten Alltag ist. Schon im vergangenen Jahr kam es immer wieder zu chaotischen Zuständen am Bahnsteig, weil die mangelhaft ausgestattete Regionalbahn so überfüllt war, dass immer wieder Fahrgäste stehenblieben.

Nichts geht mehr: Der Regionalzug von Schaffhausen nach Singen ist in Gottmadingen so voll, dass rund 30 Personen nicht mehr mitfahren ...
Nichts geht mehr: Der Regionalzug von Schaffhausen nach Singen ist in Gottmadingen so voll, dass rund 30 Personen nicht mehr mitfahren können. Ein Beamter der Bundespolizei (rechts) beobachtet das Chaos, das die Volksseele seit Schulbeginn wieder hochkochen lässt und die Bürgermeister von Gottmadingen und Gailingen auf die Palme bringt. | Bild: Tesche, Sabine

Langer Vorlauf

Ein umfangreicher Briefwechsel zu dem Thema zwischen der zuständigen Abteilung der Bahn-AG in Stuttgart, dem Gottmadinger Bürgermeister Michael Klinger, der Landtagsabgeordneten Dorothea Wehinger (Grüne) und dem Landratsamt Konstanz liegt dem SÜDKURIER vor. Er dokumentiert die über Monate währenden Bemühungen, den Missstand zu beseitigen. Bisher ohne Erfolg.

Das bringt die Volksseele langsam zum Kochen, und auch Michael Klinger ist längst der Kragen geplatzt. Er will sich nicht länger mit Vertröstungen und Entschuldigungen der Bahn abspeisen lassen. Zusammen mit seinem Gailinger Kollegen Thomas Auer pocht er darauf, dass die Bahn ihren Vertrag erfüllt und den Personentransport sicherstellt. Immerhin steigen am Bahnhof Gottmadingen täglich rund 1000 Fahrgäste ein.

Massenproblem als konkretes Gefahrenpotenzial

Schützenhilfe bekommt der Bürgermeister von der Bundespolizeiinspektion Konstanz, die die haltlosen Zustände am Gottmadinger Bahnhof jetzt an die DB Sicherheit GmbH in Frankfurt am Main gemeldet hat. In dem Schreiben, das dem SÜDKURIER ebenfalls vorliegt, ist nicht nur von den zahlreichen Beschwerden von Bürgern aus Gottmadingen und Gailingen die Rede, sondern auch von Berichten der Polizeistreifen, die die Schilderungen besorgter Eltern und Schüler bestätigen.

„Auf dem Bahnhof gibt es, zumindest zu den Abfahrtzeiten der Regionalzüge RB 19707 (7.20 Uhr) und RB 19709 (7.44 Uhr) von Gottmadingen nach Singen ein Massenproblem“, heißt es in dem Schreiben der Bundespolizei an die DB. „Beide Züge sind bereits bei Ankunft aus Schaffhausen sehr stark ausgelastet: es müssen zahlreiche Personen regelmäßig am Bahnsteig zurückbleiben, darunter hauptsächlich Schüler.“ Auch das Gedränge in den Zugeinheiten wird angesprochen, das Mindestabstände unmöglich macht.

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Im Sinne der Corona-Verordnung des Landes ergebe sich aus polizeilicher Beurteilung ein konkretes Gefahrenpotenzial, dem nur mit einer Erhöhung der Beförderungskapazität und einer Bestreifung durch bahneigenes Sicherheitspersonal begegnet werden könne.

Entschuldigung statt Abhilfe

Auf die Anfrage bei der Bahn antwortet ein Sprecher in Stuttgart so, wie es Michael Klinger schon wiederholt gehört hat: „Wegen einer kurzfristig notwendigen Instandhaltungsmaßnahme an einem Elektrotriebwagen, die nicht vorgesehen war, stehen DB Regio für den Verkehr zwischen Singen (Hohentwiel) und Schaffhausen weniger Platzkapazitäten zur Verfügung wie geplant. Das betrifft auch die Zugfahrt der Regionalbahn (RB) 19707 von Gottmadingen (ab 7.20 Uhr) nach Singen (an 7.25 Uhr). Statt der ursprünglich vorgesehenen zwei Elektrotriebwagen können wir derzeit nur einen einsetzen.“

Die Instandhaltungsmaßnahme sei leider zeitintensiv und werde voraussichtlich noch wenige Tage beanspruchen. Für mehr Platzkapazitäten werde zurzeit um 7 Uhr ab Bietingen ein zusätzlicher Bus eingesetzt. „Uns ist bewusst, dass der Bus wegen der längeren Fahrzeiten auf der Straße kein adäquater Ersatz für den Zug ist. Leider gibt es dazu – bis das angesprochene Fahrzeug aus der Werkstatt zurück ist – keine Alternative“, schreibt der Bahnsprecher dem SÜDKURIER.

Unverständnis schlägt in Wut um

Solche Erklärungen tragen jedoch in Gottmadingen wenig zur Besänftigung bei. Bei Michael Klinger treiben sie eher die Zornesröte ins Gesicht. Er habe von der Deutschen Bahn so viele unterschiedliche Begründungen erhalten, weshalb der Zug nicht oder nicht vollständig ankommt, dass er keine Lust mehr habe, sich weitere Erklärungen anzuhören. „Es mag sein, dass es Rangierunfälle gibt, dass Züge in der Wartung sind, das Lokführer ausfallen“, schreibt Klinger an den Konzernbevollmächtigten Thorsten Krenz. Aber ein Betrieb in der Größe müsse genügend Kompensationsmöglichkeiten haben.

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Hilferuf an die Abgeordnete

Um Unterstützung hat Klinger auch die Grüne Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger gebeten und wartet nun ungeduldig auf einen Effekt. Sie müsse sich mit mehr Nachdruck im Verkehrsministerium für die Beseitigung der Gottmadinger Missstände einsetzen und auf die Einhaltung der Verträge mit der Bahn pochen, sagt er. „Ich will keine Auskünfte vom Land, sondern Züge. Unsere Landtagsabgeordnete müsste dafür sorgen, dass wir einen Termin mit dem Verkehrsminister bekommen. Dann rückt die Region in Stuttgart an.“

Ministerium will Druck auf DB ausüben

Dorothea Wehinger fühlt sich zu Unrecht vom Bürgermeister angegriffen. „Ich spreche das Thema beim Verkehrsminister Winfried Hermann ständig an“, erklärt sie. „Wenn die DB Regio nicht liefert, was bestellt wurde, muss sie hohe Strafen an das Land zahlen.“ Auch Vertreter von Fridays for Future hätten ihr das Gottmadinger Problem vorgetragen. „Den Vorwurf, ich würde nichts unternehmen, weise ich scharf von mir“, sagt sie. Sie trage das Thema dem Ministerium regelmäßig vor. Mittlerweile seien hohe Entschädigungszahlungen von der Bahn an das Land fällig geworden.

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In seiner Sitzung am Dienstagnachmittag befasste sich das Verkehrsministerium ganz aktuell mit dem Thema, nachdem Dorothea Wehinger zum wiederholten Male den Ernst der Lage beschrieben habe. „Die Schilderungen der Bundespolizei haben das noch eindrücklich unterstrichen. Das Ministerium will jetzt den Druck auf die Bahn erhöhen, damit das Problem in Gottmadingen sehr rasch gelöst wird.“ Sei es durch mehr Wagen oder eine schnellere Reparatur des ausgefallenen Triebwagens.

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