Doris Burger

Dass dieser Abend keine leichte Kost bringen würde, war allen klar, die sich bei strömendem Regen ins Hesse-Museum Gaienhofen aufgemacht haben. Dass es jedoch derart dick kommen würde, war nicht abzusehen: Am Ende der zweiteiligen und insgesamt zweieinhalb Stunden langen Präsentation über den NS-Vordenker Ludwig Finckh saßen die Zuhörer stumm und wie erschlagen da. Unter ihnen auch Gerd Wolf, Sohn von Nathan Wolf, des letzten Juden in Wangen.

Ute Hübner, Leiterin des einladenden Hesse-Museums Gaienhofen, fand als Erste die Sprache wieder: „Das muss sich jetzt wohl erst einmal setzen“, sagte sie und brachte damit immerhin Bewegung ins Publikum.

Während der letzten Stunde hatte der Historiker Markus Wolter aus Freiburg, ein gebürtiger Radolfzeller, in konzentrierter Form seine Forschungsergebnisse zum Arzt, Schriftsteller und NSDAP-Vordenker Ludwig Finckh vorgetragen. Finckh, geboren 1876 in Reutlingen, lebte von 1905 bis zu seinem Tod 1964 in Gaienhofen. Im Ludwig-Finckh-Weg Nr. 5, sein Haus aus dem Baujahr 1907 existiert noch, der Straßenname ebenso. Die ihm zuteil gewordene Ehrenbürger-Würde erlischt zwar mit dem Tod, so Wolter, aber die Gemeinde habe sich bislang nicht davon distanziert.

Finckh als "Multiplikator der Ideologie"

Viele Belege für die NS-Verstrickung Finckhs sind bekannt. Doch Wolter fand weitere und bislang neue Dokumente, die er in Gaienhofen vorstellte: Fakt für Fakt, unterlegt mit Quellen und Bildern. Angefangen mit Finckhs Schlüsseltext, dem 1920 veröffentlichten Roman „Die Jakobsleiter“, der ihn bereits eindeutig als völkischen Schriftsteller ausweist ­– und der das völkische „Glückssymbol“ einführt, entwickelt und ausgewählt aus verschiedenen germanischen Runen.

„Finckh in Gaienhofen und Adolf Hitler in München führen zur gleichen Zeit jeweils das Zeichen ein, das zum Menetekel und zum Symbol der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen werden sollte“, schreibt Markus Wolter in seiner Dokumentation zu Ludwig Finckh.

Im 1923 veröffentlichten Büchlein „Der Ahnenhorst“ geht er bereits auf die „Rassenhygiene“ ein, die „Ausmerzung“ von „schwachen“ und „schlechten“, und die „Höherzüchtung“ und „Aufnordung“ der „starken“ und „guten“ Erbanlagen des deutschen Menschen (siehe Wolter, Seite 84). Die „Rassenhygiene“ erwählte der promovierte Arzt Finckh zu seinem neuen Arbeitsschwerpunkt und zog damit als gut gebuchter Vortragsredner durch die Lande. „Er war Multiplikator der Ideologie“, so Wolter.

„Uneinsichtigkeit, sein Leben lang“

Die damit einhergehende „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ bejahte Finckh insgeheim, sagt Wolter, und führt dazu zahlreiche Belege an: unter anderem die enge Verbindung zum Freiburger Juristen und Psychiater Karl Binding und zu Alfred Hoche, der 1940 vorgeblich wissenschaftliche Begründungen zum Euthanasie-, also zum Mordprogramm der Nationalsozialisten lieferte.

Selbst nach dem Krieg sah sich Finckh nicht veranlasst, sich von diesen Ansichten zu distanzieren. „Uneinsichtigkeit, sein Leben lang“, bescheinigt ihm Markus Wolter in Gaienhofen.

Der Historiker zeigt im Hesse-Museum eingescannte Postkarten, die Schüler der nationalsozialistischen Schulungsstätte in Gaienhofen, dem Seehof (heute ein Seniorenheim gleichen Namens) an ihre Eltern geschickt hatten. Finck, bereits seit 1933 Mitglied des nationalsozialistischen Lehrerbundes NSLB, sorgte dort für die rechte Ideologie mit seinen Vorträgen und auch Exkursionen – zum Beispiel zur Anstalt Reichenau. Auch in der Waffen-SS-Unterführerschule Radolfzell sorgte Finckh regelmäßig für die „weltanschauliche Schulung“, also die Unterrichtung in Erbbiologie und Ahnenkunde, wie es verharmlosend hieß.

Besonders prägnant sind Fotos, die Ludwig Finckh im vertraulichen Gespräch mit den Granden der SS, drei SS-Untersturmführern, dem SS-Obersturmführer Groß und dem SS-Sturmbannführer Braun oberhalb Gaienhofens zeigen. Gastgeber war der „Runendoktor“ selbst (so nannte Wolter ihn, in Anspielung auf dessen ersten erfolgreichen Roman „Der Rosendoktor“), der die Herren zudem in seinem Haus bewirtete. Diese Bilderserie entstand am 29. August 1943. Ein Dankesbrief von Groß „an den geehrten Parteigenossen Finckh“, geschrieben am 20. Dezember 1943, bestätigt den vertraulichen Umgang der beiden und beschwört den „Endsieg“, den Tag nämlich, „den wir alle so heiß ersehnen, wo auch auf ihrem Berghaus die herrliche Fahne des Sieges leuchten wird“. Die Dokumente stammen aus dem Stadtarchiv Reutlingen, aus dem Nachlass Finckhs.

Buch klärt über NS-Belastetet im Bodenseeraum auf

Nachzulesen ist dies alles in einem Aufsatz, den Markus Wolter für den gerade erschienenen Band „NS-Belastete aus dem Bodenseeraum“ geschrieben hat. Herausgeber der Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ ist Wolfgang Proske, der ebenfalls in Gaienhofen anwesend war, um den Sinn (und die offensichtliche Notwendigkeit) dieser akribisch recherchierten Reihe nochmals zu erläutern.

Nach diesen anderthalb Stunden des faktenreichen Vortrags war fast vergessen, womit der Abend begonnen hatte. Mit der szenischen Lesung von „Sonnwend“, einem Bühnenstück von Gerhard Zahner über Ludwig Finckh. Eindrucksvoll gab der Schauspieler Josef Vossenkuhl den NS-Propaganisten Finckh, unterstützt wurde er dabei vom Klarinettisten Haro Eden.

Uneinsichtig reflektiert Finckh darin über die Vergangenheit, sucht Rechtfertigungen, um seine frühere Freundschaft mit Hermann Hesse 1957 wieder aufleben zu lassen. Hesse hatte sie ihm bereits in den zwanziger Jahren aufgekündigt, als die völkische Gesinnung Finckhs immer offensichtlicher wurde. „Alles Fakten, alles Originalzitate“, sagt auch Gerhard Zahner in Gaienhofen. Im Hauptberuf ist Zahner Rechtsanwalt in Konstanz, im Nebenberuf Verfasser von beeindruckenden Theaterstücken.


Zum Nachlesen

  • „Blutsbewusstsein“. Der Höri-Schriftsteller und die SS. Der Aufsatz von Markus Wolter zu Ludwig Finckh ist in einem Sammelband erschienen, der 20 NS-Belastete aus dem Bodenseeraum vorstellt. Darunter auch Wilhelm von Scholz und Gerhard Schumann in Texten von Manfred Bosch.
  • „NS-Belastete aus dem Bodenseeraum“ ist der fünfte Band der Reihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ von Herausgeber Wolfgang Proske. Erschienen im Kugelberg Verlag Ger­stetten für historische Sozialforschung.

Hier finden Sie weitere Informationen: www.ns-belastete.de