Frau Weber, Sie leben seit September 2016 in China. Was machen Sie dort?

Ich bin nun seit fast einem Jahr Teil des DAAD-Stipendienprogramms "Sprache und Praxis in der Volksrepublik China". Dieses besteht aus zwei Semestern Mandarin Sprachstudium an der renommierten Pekinger Fremdsprachen-Universität sowie einer sechs monatigen Praxisphase in einem deutschen oder chinesischen Unternehmen. Ebenfalls beeinhaltet es zahlreiche Unternehmensbesuche innerhalb verschiedener Branchen. Unter anderem haben wir einen chinesichen Start-up Incubator sowie Maschinenbauer, Beratungen, Automobilzulieferer und Versicherungen besucht. Dies ermöglicht uns jungen Menschen bereits einen sehr guten Über- und Einblick in den chinesischen Markt. Diese Besuche fanden nicht nur in Peking statt, sondern auch in Shanghai und deren Umgebung sowie Chongqing, eine Millionenmetropole im Westen Chinas. Durch die Teilung in den theoretischen und praktischen Teil erlernen wir die Sprache und erleben Freizeit- und Berufsalltag hautnah.

Warum China?

Bei mir war schon immer eine Fasznination für China da. Als ich eines Tages die dritte Wiederholung einer der TV-Reportagen über das Brückenprojekt zwischen den Städten Hong Kong, Zhuhai und Macao ansah, war für mich klar: wenn das Bachelorstudium abgeschlossen ist, muss ich nach China. Doch ebenso klar war, dass dies nicht Urlaub, sondern ein Praktikum werden sollte. Nach einiger Internetrecherche fand ich eine Praktikumsausschreibung und bewarb mich. Sechs Wochen später flog ich ohne chinesische Sprachkenntnisse oder viele Informationen über den chinesischen Arbeitgeber für ein halbes Jahr nach Peking.

Wie war das Ankommen in diesem Land?

Mein erster Tag war versmogt. Obwohl ich in einer Wohnung mit fünf Chinesen auf kleinstem Raum zusammen lebte und ich mich fast täglich ärgerte, die Menschen um mich herum nicht zu verstehen, faszinierte mich China von der ersten Minute an. Das Gewusel in den Straßen, die einzigartigen Geschmacksarten beim Essen sowie die lange chinesische Kultur brachten mir China jeden Tag um ein weiteres Puzzlestück näher. Am meisten faszinierte mich das regelrechte "Spüren" von Aufschwung der gesamten Nation, die positiv in die Zukunft blickt und auf welch' besondere Art und Weise es möglich ist, traditionelle Werte und zukünftige Technik im Alltag zu vereinbaren.

Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Derzeit gehe am Morgen aus dem Haus, über die Straße, um mir einen mit roten Bohnen gefüllten Baozi zu holen, ähnlich unserer Dampfnudel. Ich bezahle 2 Yuan (etwa 50 Cent) per WeChat Pay. Anschließend fahre ich mit dem firmeneigenen Elektro-Bus 20 Minuten zur Arbeit. Dieser sammelt die Mitarbeiter an fünf Stationen in der Stadt ein und bringt uns direkt aufs Unternehmensgelände. Zwei Mal wöchentlich starte ich meinen Arbeitstag mit Chinesischunterricht. Pünktlich, wie in Deutschland auch, gibt es um 12 Uhr in der Kantine Essen (dafür müssen wir nicht extra zahlen). Danach gibt es für alle Kollegen, mit dem Kopf auf der Schreibtischplatte, meist einen 10-minütigen Powernap, bevor es wieder an die Arbeit geht. Um 17.30 Uhr bringt uns der Bus zurück in die Stadt. Dort gehe ich noch Abendessen, zum Sport oder treffe mich mit Freunden. Selbst koche ich nicht, da ich keine Kochmöglichkeit in meinem Apartment habe, außerdem ist Essen überall direkt um die Ecke günstig und sehr gut.

Was können wir Deutschen von den Chinesen lernen oder was können die Chinesen von uns Deutschen lernen?

Betrachtet man die momentane weltökonomische Situation, sollte Deutschland in manchen Fällen schneller und China etwas langsamer sein. Oft wünsche ich mir, dass sich China und Deutschland in der Mitte treffen; wenn Deutsche in manchen Situationen es etwas lockerer und Chinesen es etwas genauer nehmen würden, könnten wir viele Probleme vermeiden. Mir ist es wichtig, Menschen aus beiden Ländern zu ermutigen, sich mit eben dieser Annäherung auseinander zu setzen.

Was gefällt Ihnen an der chinesischen Kultur?

Hier lernt man täglich, dass nichts unmöglich ist. Chinesen blicken sehr positive in die Zukunft, der allgemeine Lebensstandard steigt. In Deutschland habe ich immer das Gefühl, ich bin Teil von Stillstand, nicht von etwas, das wir gemeinsam schaffen. Mir gefällt auch, dass das gemeinsame Essen ein großer Bestandteil der Kultur ist. Ebenso mag ich den Humor der Chinesen und deren Neugierde.

Was essen Sie am liebsten?

Am liebsten esse ich Malatang. Da sucht man sich im Restaurant frische aufgeschnittene Zutaten wie Spinat, Kürbis, Lotuswurzel, Pilze, Bambussprossen, Fisch, Fleisch, Tofustücke und gekochte Eier aus einer Kühltheke aus, zahlt nach Gewicht (pro Portion etwa 3 bis 4 Euro) und bekommt diese dann in einer fertigen klaren Suppe serviert. Chilli und Sesamsauce kann man hinzugeben.

Wie schwer ist es, die chinesische Sprache zu erlernen?

Verglichen mit europäischen Sprachen ist es so, dass wir das Alphabet beherrschen und nur noch die Bedeutung und die Grammatik lernen müssen. Im Chinesischen müssen Aussprache und die vier verschiedenen Töne erlernt werden, dann erst kommt das Schreiben dazu. Es nimmt sehr viel Zeit ein. Und zuletzt muss man ja noch lernen, wohin mit den Worten im Satz.

Wie bleiben Sie mit Ihren Eltern in Ludwigshafen in Kontakt?

Mit meiner Familie und meinen Freunden bin ich in regem Austausch per Whatsapp. Worte fehlen mir hier immer noch regelmäßig, wenn beispielsweise Obdachlose bettelnd mit Smartphones vor einem stehen und nach einer Geldspende per WeChat verlangen. In Deutschland glaubt mir das keiner.

Wohin steuern Sie beruflich?

Momentan arbeite ich im Marketing eines deutschen Startups und bin die Ansprechpartnerin auf deutscher und chinesischer Seite. So bekomme ich direkt mit, wo Missverständnisse aufkommen und kann das gegenseitige Verständnis unterstützen. Das ist mir wichtig und das macht mir Spass. In Zukunft möchte ich weiterhin diese Art bilateraler Projekte durchführen, mit Fokus auf China und Deutschland.

Zur Person und zum Stipendium

Isabell Weber am See des Sommerpalastes.
Isabell Weber am See des Sommerpalastes. | Bild: privat
  • Isabell Weber (28) ist in Ludwigshafen aufgewachsen und in Stockach bis zum Abitur 2009 zur Schule gegangen. Anschließend studierte sie in Konstanz Soziologie. Nach dem Bachelorstudium ging sie das erste Mal für ein sechs monatiges Praktikum nach China. Danach absolvierte sie ihren MBA bei Voith in Heidenheim. Seit September 2016 ist sie Teil des DAAD-Stipendienprogramms "Sprache und Praxis in der Volksrepublik China". Derzeit wohnt sie in Kunshan, bei Shanghai.
  • Das DAAD-Stipendium hat zum Ziel, deutschen Graduierten die Möglichkeit zu bieten, an einem sprach- und praxisorientierten Programm in China teilzunehmen. Den Stipendiaten wird dabei Gelegenheit geboten, die chinesische Sprache gründlich zu erlernen und die Kultur und Wirtschaft des Landes in unmittelbarer Erfahrung zu erleben. Der DAAD als Hochschulorganisation und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sehen in diesem Programm einen Beitrag zur Heranbildung von China-Experten in Wirtschaft, Verwaltung und Industrie.
  • WeChat – auf Chinesisch WeiXin- ist eine Mischung aus Messenger, sozialem Netzwerk und Bezahlsystem, die fast jeder Chinese auf seinem Smartphone nutzt. Durch ihren großen Funktionsumfang und die Einführung einer Bezahlfunktion ist WeChat so für Millionen Chinesen zum Zentrum ihrer gesamten Onlineaktivitäten geworden. Diese mit Abstand erfolgreichste App Chinas gehört dem Software-Konzern Tencent.
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