Reinhard Valenta

Karl Seuser zählte von 1909 bis in die 1960er Jahre zu den bedeuteten Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens in Wehr. Älteren ist sein Name in guter Erinnerung. Hingegen ist das tragische Schicksal seines Sohnes Rolf in Wehr fast unbekannt. Grund dafür ist der Zweite Weltkrieg.

Heinz Bader, der letzte Besitzer der gleichnamigen Druckerei, kann Auskunft über Karl Seusers Leben geben. Er besitzt einen tabellarischen Lebenslauf. Der 1885 im Rheinland geborene Buchdrucker hat ihn anlässlich seines 80. Geburtstages für den „Wehrataler“ geschrieben. Darüber hinaus gibt es Akten, die Seusers Leben dokumentieren. Der Buchdrucker kam 1909 nach Wehr und arbeitete zunächst in Karl Baders Druckerei. „Gefremdelt“ hat Seuser nicht. Sofort engagierte er sich im Stenographenverein und war bis 1962 als Kursleiter tätig. Er heiratete die Zellerin Else Bernauer, mit der er zwei Söhne und neun Töchter hatte. Wie heimisch er sich in Wehr fühlte, zeigt seine Bitte um „Aufnahme in den Badischen Staatsverband“ von 1918. Das Bezirksamt Schopfheim stimmte am 17. Dezember 1918 zu. Der Rheinländer wurde zum Badener und Wehrer.

Ein Jahr später wurde Seuser in den Bürgerausschuss der Gemeinde gewählt. Er war Mitglied der Zentrumspartei und verstand sich als politisch engagierter Katholik. Karl Seuser übernahm sogar den Vorsitz der Wehrer Ortsgruppe. Nachdem sich die Partei infolge des Drucks durch die Nazis als letzte bürgerliche Partei am 5. Juli 1933 selbst aufgelöst hatte, wickelte Seuser (seit 1922 in der MBB beschäftigt) gemeinsam mit MBB-Direktor Anton Denk (ebenfalls im Bürgerausschuss) die kommunale Vertretung der Wehrer Zentrumspartei ab. Anton Denks Sohn Berthold verwahrt noch heute die entsprechenden Dokumente aus dem Nachlass seines Vaters.

Seuser ging auf Distanz zu den Nazis und engagierte sich im Kirchenchor der Gemeinde St. Martin. 1917 war der begeisterte Chorsänger Mitglied geworden und 35 Jahre lang als Vorsitzender tätig. Er interessierte sich für Wehrs Geschichte und schrieb das Schauspiel „Der Wolf von Wehr“. Weil er sich die Nazis vom Leibe gehalten hatte, wurde Seuser 1946 im Zuge der Entnazifizierung in den „Ermittlungsausschuss für Industrie-, Handels- und Handwerksbetriebe“ berufen. Eine heikle Aufgabe, musste er sich doch auch mit Parteimitgliedern aus Wehrs Wirtschaft befassen. Die kommunalpolitische Arena betrat Seuser jedoch nicht mehr. Als Leiter des Jugendbildungswerks zählte er aber zu jenen, die nach dem Krieg in der jungen Generation die Grundlagen für den neuen Geist der Demokratie legten.

Ein Tiefpunkt im Leben des 1957 pensionierten und 1974 verstorbenen Katholiken war jener Tag, an dem ihn die Nachricht vom Tod seines 1920 geborenen Sohnes Rolf an der Ostfront (28. Juli 1941 in Krasnopolka/Russland) erreichte. Weil damals so viele andere Familien dieses Unheil ebenfalls ereilte, ist Rolf Seusers Schicksal als eines unter vielen nahezu unbekannt geblieben. Dabei war der junge Mann ein Hoffnungsträger der Wehrer Katholiken. Gemeinsam mit dem Enkendörfer Wolfgang Bopst besuchte er seit 1935 das Fidelis-Kolleg Bensheim. Während Bopst später Lehrer wurde, trat Rolf Seuser in den Kapuzinerorden ein. Dass er nach dem Abitur 1940 Novize in Stühlingen war, ist kein Zufall. Nicht zuletzt auch durch den Wehrer Kapuzinerpater Hermes (Berthold) gab es intensive Beziehungen zu dem 2022 aufgegebenen Kloster.

Welch großes Ansehen der in Russland gefallene junge Kapuziner auch in höchsten Kirchenkreisen genoss, macht ein Schreiben des Freiburger Erzbischofs Conrad Gröber an Wehrs Stadtpfarrer Stephan Wildemann nach Rolfs Seusers Tod deutlich. Gröber bezeichnete ihn als einen „ganz vortrefflichen und heiligmäßigen Ordensmann“. Sogar eine Seligsprechung war in der Nachkriegszeit im Gespräch. Bekannt wurde davon in Wehr so gut wie nichts.

Dass Rolf Seusers Kriegserfahrungen für die Katholizismus-Forschung von exemplarischer Bedeutung sind, hat der Historiker Franz Josef Schäfer in einem Aufsatz für die Zeitschrift des Freiburger Diözesan-Archivs herausgearbeitet. Dabei stützt er sich unter anderem auch auf Seusers Tagebücher und die Personalakte im Archiv des Ordens. Schäfer recherchierte zudem in Wehr und befragte Zeitzeugen und Angehörige der Familie. Sein Aufsatz ist ein Meilenstein auch der lokalen Geschichte der Wehrer Katholiken in der Nazizeit.