Mindestens 18.304 Höhenmeter wollte Kai Saaler mit dem Mountainbike in 24 Stunden erklimmen. Die Aktion war trotzdem ein sensationeller Erfolg. Zum einen wird er sich wohl trotzdem ins Guinnessbuch der Rekorde eintragen dürfen. Zum anderen konnte er eine stattliche Summe Geld für die Lörracher Amsel Initiative sammeln, die sich für Menschen mit Multiple Sklerose einsetzt. Insgesamt fast 2000 Menschen unterstützten und feierten den Extrem-Sportler bei seinem Weltrekordversuch.
Start zum Weltrekordversuch
Mega konzentriert startet Kai Saaler am Mittwoch pünktlich um 15 Uhr unter großem Jubel und Beifall seiner Fans zu seinem Weltrekordversuch. 18.304 Höhenmeter will der 33-jährige Spitzensportler in den nächsten 24 Stunden schaffen. „Das ist mehr als zwei Mal auf den Mount Everest“, sagt Saaler in einem Videointerview. Die Strecke liegt an der Wehratalsperre und ist etwa 1,3 Kilometer lang. Allerdings hat der Waldweg auf dieser kurzen Distanz eine Steigung von 122,87 Höhenmetern. Nach fast sieben Minuten erscheint er das erste Mal wieder hinter der Wegbiegung. Damit liegt er sehr gut in der Zeit. Unter lauten Jubelrufen wendet der Ultra-Biker, an einer eigens von einer Schreinerei erbauten Steilkurve, an der Talstation, dann gehts erneut den Berg hoch. Jetzt gilt es, die gleiche Strecke bis Donnerstag, 15 Uhr, mindestens weitere 152 Male zu schaffen.
Voraussetzungen waren fast perfekt
Einen heißen Junitag hat sich Kai Saaler ausgesucht. Der Extremsportler aus Hasel wirkt vor dem Start jedoch entspannt, aber fokussiert. Ob ihm die Hitze – an der Wehratalsperre hat es über 30 Grad – Probleme bereitet? „30 Grad ist natürlich nicht das Top Wetter für so einen Versuch, aber lieber das als nass und kalt“, sagt Saaler. Als er die Strecke am 29. Mai 12 Stunden an seiner „Generalprobe“ gefahren ist, hatte es nachts Temperaturen um den Gefrierpunkt. Am Material und Unterstützung wird es jedenfalls nicht mangeln. Sein Bike ist eine Maßanfertigung und mit nur 6,1 Kilo so leicht, dass es mit einem Finger angehoben werden kann, erklärt Saalers Pressesprecher André Huber. Auf den Reifen ist wenig Profil, um den Reibungswiderstand gering zu halten. Saaler wird während des Rekordversuchs etwa 18.000 Kalorien verbrennen. Er ernährt sich dabei von Sport-Gel und Power-Riegeln, die ihm sein Support-Team in kleinen Stücken aufs Rad reicht. Wichtiger jedoch ist Flüssigkeitszufuhr. Alle drei Runden bekommt er eine Trinkflasche gereicht. Darin ist unter anderem Ingwerextrakt, das den Magen bei dieser extremen Belastung beruhigt. Insgesamt ist mit einem Flüssigkeitsverbrauch von 15 bis 18 Litern zu rechnen.

Eine anspruchsvolle Strecke
Die Strecke ist anspruchsvoll. Nicht nur die Aufstiege sind anstrengend, auch bei den Abfahrten mit bis zu 70 km/h muss sich Saaler voll konzentrieren. Beim 12-Stunden-Training ist er bereits in der zweiten Runde gestürzt. Die Abschürfungen an seinen Ellenbögen, die er sich auf der Strecke zugezogen hat, sind noch nicht vollständig verheilt. Der Guinnessbuch-Rekord war Saaler übrigens schon vor dem Start sicher. Die Aktion ist der erste Rekordversuch überhaupt, der unter strengen Bedingungen stattfindet.

Damit der Rekord vom Guinnessbuch anerkannt wird, muss der Versuch detailliert beantragt und aufgezeichnet werden. Die Weltrekordmarke von 18.304 Höhenmetern, die Slim Gamh-Drid aus Singen-Bohlingen am Bodensee 2016 aufgestellt hatte, ist hingegen nicht offiziell vom Guinnessbuch anerkannt. Gamh-Drid habe ihm auch bei der Vorbereitung wichtige Tipps gegeben, erklärt Saaler. Man kennt und hilft sich in der kleinen Ultra-Biker-Szene. „Mir geht es sowieso nicht so sehr um den Rekord, sondern um den wohltätigen Zweck“, betont Saaler. Eine Vielzahl von lokalen Sponsoren und Vereinen aus Hasel, Wehr und Schopfheim unterstützt das Event. Der Höhen- und Heimatverein übernahm die Bewirtung, der Gesangverein, die Jugend Feuerwehr, die Freiwillige Feuerwehr Hasel, um nur einige zu nennen. Das Technische Hilfswerk hatte sogar Nachteinsatz. Musikalisch umrahmt wurden die beiden Tage von den drei Bands Projekt X, der Haros Danceband und der Wehrer Bad Same Days Records.
Gut im Rennen um Mitternacht
Es ist kurz nach Mitternacht. Die Luft hat deutlich abgekühlt, aber es ist immer noch warm. Der Festplatz neben der Strecke ist auch zu dieser Stunde gut gefüllt. Viele Weggefährten und befreundete Sportler sind gekommen. Von den Fans an der Strecke wird Saaler jedes Mal mit großer Begeisterung gefeiert, wenn er sich in der Dunkelheit den Berg hoch quält oder bei einer Abfahrt mit seiner Helmlampe vorbeidüst.

Er ist jetzt in seiner 64. Runde und hat nach acht Stunden Fahrt 7.860 Höhenmeter geschafft. Seine Zeiten sind mit 9:30 Minuten pro Runde zwar etwas langsamer geworden, aber er ist immer noch gut im Soll. Ob Saaler das durchhalten kann? Wenn man seine Fans fragt, bekommt man fast immer die gleiche Antwort: „Er ist gut trainiert und weiß, was er tut. Aber es darf natürlich nichts schief gehen.“ Zum Helferteam, das die ganze Nacht ausharrt, gehört auch seine Schwester Eva Saaler. Sie weiß, was es bedeutet, ihren Bruder bei einem 24-Stunden-Rennen zu unterstützen. Dieses Jahr ist er Deutscher Mountainbike-Meister über diese Zeitdistanz geworden. 2018 war er in Ligurien siegreich. Dort hat er schon mehr als 14.000 Höhenmeter zurückgelegt. „Ohne Team geht das nicht, denn er ist ja wirklich einen ganzen Tag nur auf dem Fahrrad„, erklärt Eva Saaler. Wie sie sich selbst wachhält? „Mit ein bisschen Kaffee oder Cola und ab und an einem kurzen Power-Schläfchen geht das inzwischen ganz gut“, verrät sie.
Nach und nach zucken immer mehr Blitze am Nachthimmel. „Etwas Regen wäre jetzt vielleicht gar nicht so schlecht. Aber bitte nicht zu viel, sonst weicht die Strecke auf und der Kraftaufwand wird enorm“, sagt ein fachkundiger Zuschauer.
Rekord knapp verpasst
Um drei nachts stellt Saaler – quasi nebenbei – nach 79 Runden den 12-Stunden-Rekord mit 9.774 Höhenmetern auf. Eine kurze Verschnaufpause bei beginnendem Gewitter und starken Regengüssen erhielt der Sportler noch schnell eine wohltuende Fußmassage. Dann ging es auch schon weiter, denn er hatte aktuell bei Verdopplung der bisher erreichten Höhenmetern nicht viel Puffer. „Nur zwei Runden bei gleichbleibender Geschwindigkeit, das wird knapp“, wurde aus seinem Betreuer-Team mitgeteilt. Gemessen wurde die Zeit mit einer Atomuhr. Es regnete immer heftiger und das Betreuer-Team möchte Saaler eine Regenjacke während der Fahrt zu reichen. Kai Saaler sagt, „es geht noch“, und fährt weiter ohne Regenjacke. Jedes Gramm weniger am Körper ist sein Vorteil. Wegen des Teils heftigen Regens, hat die oberste Kurve sich innert kürzester Zeit ein Matschfeld verwandelt.

Am Morgen sind seine Rundenzeiten wieder besser geworden“, sagt André Huber. Um 14 Uhr wird klar: Saaler wird die 18.304-Meter-Marke nicht knacken. Den Zuschauern ist das egal. Sie feiern ihren Star und seine überragende Leistung. Inzwischen sieht man ihm die Strapazen an. Andere würden wohl abbrechen, zumal der Guinnessbucheintrag ja schon sicher ist. „Er hat zu mir grade gesagt, dass er sich noch nie in seinem Leben so kaputt gefühlt hat. Aber Aufgeben ist für Kai nie eine Option“, erklärt seine Freundin Tamy Walter.

Als er um 15 Uhr die Zielmarke überfährt, hat Kai Saaler exakt 17.391,71 Höhenmeter geschafft. Ein Spalier jubelnder Menschen begleitet ihn zur Festbühne, wo er wie ein Rockstar gefeiert wird. „Das ist ja Wahnsinn, ich kann‘s gar nicht glauben, dass ihr alle gekommen seid“, ruft er ins Publikum.

Ob er die Bestmarke wirklich ans Guinnessbuch schicken wird, will er erst noch mit dem inoffiziellen Weltrekordhalter Slim Gamh-Drid besprechen. „Es ist eine Menge Geld für den guten Zweck zusammengekommen. Das war heute das Entscheidende“, freut sich Kai Saaler müde aber sichtlich glücklich.
AMSEL
Am 13. Oktober 1974 gründeten 28 MS-Kranke und ihre Angehörigen in Kirchberg/Jagst den Verein Aktion Multible Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg e.V., abgekürzt AMSEL. Die AMSEL ist Fachverband, Selbsthilfeorganisation und Interessenvertretung für MS-Kranke in Baden-Württemberg. Alle, die nicht beim Rekordversuch dabei sein konnten, aber dennoch für die Lörracher Amsel Initiative, die sich für Menschen mit Multiple Sklerose einsetzt, spenden möchten, können dies mit dem Verwendungszweck „24h Rekord“ auf folgendes Konto tun:
VR Bank Schopfheim
IBAN : DE55 6839 1500 0060 5569 03
BIC : GENODE61SPF