Jedes Jahr das Gleiche: Immer im April musste Benita Hasselblatt in den vergangenen Jahren zum Arbeitsamt. Seit 2015 ist sie Lehrerin an der Wehrer Gemeinschaftsschule, doch während Schüler und Kollegen die Ferien genießen, plagen sie Sorgen. Denn offiziell ist sie in den Sommerferien arbeitslos.

Wie etwa 3800 andere Lehrer in Baden-Württemberg hatte sie bislang nämlich keinen unbefristeten Vertrag. Jedes Jahr mit dem letzten Schultag endete ihr Arbeitsverhältnis. „Drei Monate vorher heißt es dann: zum Arbeitsamt, einen Antrag ausfüllen und hoffen, dass man zum Schuljahresbeginn wieder eingestellt wird“, erklärt Hasselblatt das jährlich wiederkehrende Ritual. In der Regel gibt es zwar im September einen neuen Vertrag. Dieser ist aber auch wieder nur befristet.

Für die betroffenen Lehrer bedeutet dies eine große Unsicherheit – und führt zu Existenzängsten. „Man fühlt sich als Lehrer dritter Klasse“, beschreibt Benita Hasselblatt. Während das Gros der Lehrer einen Beamtenstatus innehat, sind etwa zehn Prozent angestellt. Davon wiederum hat ein gutes Viertel nur befristete Verträge und muss jährlich auf einen neuen Vertrag hoffen. Letztlich gehe mit der fehlenden Perspektive auch Motivation zur Vorbereitung auf das neue Schuljahr verloren, so Hasselblatt. „Ich kann den Schulkindern am letzten Schultag nicht einmal sagen, ob ich im nächsten Schuljahr noch da bin.“ Und es hat groteske Folgen: „Ohne Vertrag darf ich die Schule nicht betreten, da ich ja während der Arbeitslosigkeit nicht unfallversichert bin.“ Somit kann sie auch nicht an der ersten Gesamtlehrerkonferenz teilnehmen, die zur Vorbereitung des Schuljahres noch in den Sommerferien stattfindet.

Benita Hasselblatt betreut seit 2015 an der Wehrer Gemeinschaftsschule die Vorbereitungsklasse, in der die Integration von Kindern von Flüchtlingen und europäischen Zuwanderern in den Schulalltag beginnt. Immer wieder hatte sie sich um eine Entfristung ihres Vertrags bemüht. Der persönliche Einsatz des Lörracher Landtagsabgeordneten Joshua Frey bei Kultusministerin Susanne Eisenmann brachte nun Erfolg: Am letzten Schultag bekam Hasselblatt ihren ersten unbefristeten Vertrag. Ein Grund dürfte dabei auch ihr Engagement in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gespielt haben: Bei den Personalratswahlen kandidierte sie nämlich als „Befristete“ auf der Gewerkschaftsliste für den örtlichen Personalrat und wurde prompt als erste und einzige in Baden-Württemberg gewählt. „Ohne Vertrag hätte ich mein Amt am 1. August nicht antreten können“, so Hasselblatt. Dies wäre ein Novum gewesen, das möglicherweise auch juristische Auseinandersetzungen zur Folge gehabt hätte.

An der Wehrer Gemeinschaftsschule unterrichten mindestens noch vier weitere Kollegen, die sich von Schuljahr zu Schuljahr zu einem neuen Vertrag hangeln. „Ich werde mich nun dafür einsetzen, dass alle Stellen entfristet werden“, kündigt Hasselblatt an.

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Warum sich manche Lehrer in den Sommerferien arbeitslos melden müssen

  1. Wie kommt es zu den befristeten Verträgen? Um die Lücken in der Lehrerversorgung zu schließen, werden seit einigen Jahren auch Personen eingestellt, die formal keine Lehrer sind, weil sie die Voraussetzungen (beispielsweise das zweite Staatsexamen) nicht erfüllen. Im Amtsdeutsch heißen sie deshalb „Nichterfüller“. Sie erhalten nur befristete Verträge. „Solche befristeten Verträge gab es eigentlich schon immer“, erklärt Anja Hanke, Kreisvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Lörrach. Gedacht waren sie zunächst nur als Vertretung für Personalausfälle während des Schuljahres. Mittlerweile ist aber jede vierte Neueinstellung befristet, so Hanke.
  2. Warum gibt es so viele befristete Verträge? Dass die Zahl so drastisch zugenommen hat, hat mit dem Lehrermangel zu tun: „Schon zu Beginn des letzten Schuljahres waren im Schulamtsbezirk Lörrach [also in den Kreisen Waldshut und Lörrach] 110 Lehrer befristet angestellt, um die Lehrerversorgung zu gewährleisten“, so Hanke. Für die Gewerkschaft ein Unding: Einerseits lehnt das Kultusministerium eine unbefristete Einstellung der Kollegen aus Qualifikationsgründen ab, andererseits sei eine Grundversorgung ohne sie kaum möglich. „Wenn es am Anfang des Schuljahres um die Statistik der Lehrerversorgung geht, werden die befristeten Kollgen gerne mit eingerechnet“, so Hanke. Das Land Baden-Württemberg spart sich durch die Befristungen viel Geld: für jeden befristetet angestellten Lehrer mindestens anderthalb Monatsgehälter. „Die Verträge enden nicht am Monatsende, sondern exakt am letzten Schultag. Und manchmal läuft das Schuljahr schon 14 Tage, bis man einen neuen Vertrag hat“, so die Erfahrung von Benita Hasselblatt.
  3. Ist eine Verlängerung befristeter Verträge denn erlaubt? „Es gibt Kollegen, die bekommen seit acht Jahren immer wieder befristete Verträge“, so Anja Hanke. Möglich sei dies nur durch einen Trick der Landesregierung, denn befristete Verträge dürfen nur mit einem „Sachgrund“ ausgestellt werden. Bei jedem Vertrag muss also ein konkreter Personalausfall genannt werden. „Dieser Ausfall muss aber nicht zwingend an der betreffenden Schule vorliegen“, erklärt Hanke. „Das ist schon grotesk.“ Sie schildert auch Fälle, in denen junge Lehrer Abwanderungsgedanken hegen. Die meisten anderen Bundesländer haben die Praxis der Befristung von Lehrerstellen mittlerweile aufgegeben. Nur Baden-Württemberg und Bayern halten daran fest. Um den Kollegen eine Perspektive zu geben, fordert die Gewerkschafterin ein Fortbildungssystem, mit dem den „Nichterfüllern“ die Möglichkeit der notwendigen Qualifizierung gegeben werden soll.